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Workshop-Bericht: Jenseits des deutsch-türkischen Kinos

Workshop-Plakat: Jenseits des deutsch-türksichen Kinos

Workshop-Plakat: Jenseits des deutsch-türksichen Kinos

Teilnehmer*innen des Workshops

Teilnehmer*innen des Workshops

Der dritte Workshop Jenseits des deutsch-türkischen Kinos unseres Forschungsprojektes Migrantenmelodramen und Einwanderungskomödien: Medienformate deutsch-türkischer Gemeinschaftsgefühle hat am 22. und 23. Mai 2018 in Kooperation mit der Kolleg-Forschergruppe Cinepoetics stattgefunden.

Mit Bezug auf den Gegenstand unserer Forschung sind wir in unserem Projekt der Frage nachgegangen, was aus der aktuellen Sicht unter dem sogenannten „deutsch-türkischenKino“ zu verstehen ist und welche Probleme mit dieser Bezeichnung einhergehen. Nachdem wir unsere Position und die Kritik des Begriffs in den vorangegangenen zwei Workshops und in unserer Fokusgruppe ausformuliert und diskutiert haben, haben wir den letzten Workshop mit dem Ziel konzipiert, in produktiven Dialog mit der bestehenden Forschung zu treten. Zu diesem Zweck haben wir gemeinsam mit jenen Forscher*innen, die die Debatte des Migrationskinos in deutschen Kontext wesentlich geprägt haben, über das deutsch-türkische Kino, seine politischen Funktionen, sowie das Problemfeld des Begriffs und damit verbundene Identitätspolitiken aus heutiger Sicht diskutiert. Innerhalb des zweitägigen Workshops haben Prof. Deniz Göktürk aus der University of California, Berkeley, Prof. Nanna Heidenreich von der Internationalen Filmschule Köln und M.A. Ömer Alkın von der HHU Düsseldorf ihre Beiträge im Hinblick auf unsere Forschungsfragen vorstellen können.

Der erste Tag des Workshops begann mit einer gemeinsamen Filmsichtung von Sarı Mersedes- Mercedes Mon Amour (TR/FR/CH/D 1992) von Tunç Okan. Im Anschluss an die Sichtung hielt die Mitarbeiterin und Doktorandin des Forschungsprojektes, Nazlı Kilerci, einen Vortrag zum Thema Arabesk im deutsch-türkischen Film. Unter dem Titel Highways of Fate. Observations on Arabesk analysierte Nazlı Kilerci auf der Grundlage ihres Dissertationsprojekts den Modus des Arabesk in Sarı Mercedes. Arabesk wird im Vortrag als ein wiederkehrender Modus beschrieben, der sich in der vergleichenden Analyse der Filme des deutsch-türkischen Kinos als Ausdrucksmodalität herauspräparieren lässt. Identifiziert an audiovisuellen Pathosformen führt der Modus des Arabesk zurück zu seinem Ursprung – in innertürkische Migrationsbewegungen der 1950er und 1960er Jahre, die als Form der Arbeitsmigration aus den ländlichen bzw. anatolischen Regionen in die westlichen Städte der Türkei stattgefunden haben. In ihren theoretischen Annäherungen beschäftigte sich Kilerci mit der Poiesis des Arabesk als Konsumprozess. Die Analyse der Aneignung von Emotionsrepertoires des Arabesk, so die These der Präsentation, eröffnet neue Perspektiven auf ein Kino, welches üblicherweise mit dem Label deutsch-türkisch erfasst und durch identitätspolitisch geleitete Formen sowie als Ausdruck kultureller Zugehörigkeiten und ethnischer Kategorisierungen definiert wird.

Den zweiten Beitrag des ersten Tages lieferte Prof. Nanna Heidenreich. In ihrem Vortrag Im Video-Bild sein. Zeitgenossenschaft verhandelte Heidenreich das Thema Migration als Zeiterfahrung. Der Beitrag beschäftigte sich primär mit der Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst als „Kontaktzone“. Ausgehend von ihrem Buch V/Erkennungsdienste, das Kino und die Perspektive der Migration, welches gleichzeitig auch Prof. Heidenreichs Dissertationsprojekt ist, übte sie Kritik an der historischen Rahmung des deutsch-türkischen Kinos als Erfolgsgeschichte. Mit ihrer medientheoretischen Perspektivierung legte sie den Fokus auf kinematografische Bewegung als Temporalität oder Multitemporalität, durch die Migration als spezielle Zeiterfahrung erfahrbar gemacht werden kann. Die geschichtsbildende Kraft der Videokunst könne als Zeiterfahrung im Hinblick auf Entwicklungen globaler Kunst und Gentrifizierung identifiziert werden. Neben einem umfangreichen Überblick aktueller Kunstwerke standen in Prof. Heidenreichs Vortrag jene Videospots im Zentrum, die im Rahmen des Tribunals NSU-Komplex auflösen im Jahr 2017 in Köln präsentiert wurden. Vgl. http://tribunal-spots.net/de/spots/01/ .

Der zweite Tag des Workshops begann mit einem Vortrag von Prof. Deniz Göktürk. Prof. Göktürk hat die Debatte zum deutsch-türkischen Kino mit ihrer Forschung, u.a. zum Begriff des transnationalen Kinos, über die Jahre produktiv beeinflusst und geprägt. In ihrem Vortrag In Situ in Transit. Zur Ökologie trans/nationaler Filmkultur etablierte Prof. Göktürk aus einer medienwissenschaftlichen Perspektive heraus ein Neudenken von Migration als Teil einer umweltlichen Gesamtsicht. Migration muss hier als eine Entwicklung gesehen werden, in der die Bezüglichkeiten zwischen Natur, Umwelt, Verortung und Mobilität unabdingbar miteinander verknüpft sind. Die Frage nach der Sichtbarkeit, aber auch nach der Pluralität von Teilansichten, fragmentarischen Perspektiven, wie auch im Spezifischen das Framing der Migration standen im Fokus ihres Vortrags. Dieses Framing wird von ihr als Praxis einer Ethnologie durch Kulturalisierung bezeichnet. Ihre bemerkenswerte Kritik äußerte sich verstärkt am durch Migration bedingten asymmetrischen Zugang zu Ressourcen, wodurch Migration selbst als Mediengeschichte gefasst werden kann. Fatih Akıns Dokumentarfilm Müll im Garten Eden (D, 2012) war für den Vortrag paradigmatisch, da das regionale Bewusstsein in räumliche Zusammenhänge gestellt und innerhalb eines neuen Kontextes medialisiert wird.

In seinem Vortrag World, Transnational, Polycentric Cinema. Reflexionen zu Untersuchungspratiken transnationaler Filmkulturen der Migration stellte Ömer Alkın (M.A ) einen Teil seiner Dissertationsarbeit vor. Hierin bezog er sich auf eine filmgeschichtliche Perspektive des Migrationskinos, mit dem Schwerpunkt auf das türkische Kino. Alkın begründete seine These einer historischen Neubewertung mit unterschiedlichen Filmbespielen aus der Geschichte des Kinos in der Türkei. Alkıns Begriffsarbeit ver- und behandelt das nationale Kino, Peripher World Cinema, Minoritätskino und den Polyzentrismus in ihren Konfliktbildungen und Transformationen. In seiner filmgeschichtlichen Auslegung konzentriert er sich auf die Filme des sogenannten Yeşilçam-Kinos, die auf narrativer Ebene von den türkischen Gastarbeitern aus einer türkischen Perspektive erzählen. Somit leistet die Forschung Alkıns einen innovativen Beitrag zum medialisierten Dialog zwischen der Filmgeschichte der Türkei und der türkischen Migration in Deutschland.

Den letzten Vortrag des Workshops hielt Dr. Hauke Lehmann, Mitarbeiter des Sfb-Forschungsprojekts. Der Vortrag von Dr. Lehmann mit dem Titel Bildraum und Erfahrungsraum. Zur Möglichkeit von Gemeinschaft im Kino beschäftigte sich aus filmwissenschaftlicher Perspektive mit den medialen Bedingungen dessen, was Hermann Kappelhoff in seinem Buch Matrix der Gefühle „kulturelle Fantasietätigkeit“ nennt. Damit gemeint ist eine Praxis der Produktion und Verbreitung von Phantasmen und Fiktionen, in denen Bilder und Vorstellungen generiert und konstruiert werden. Mit Bezug auf Theorien der traumartigen Logik, der Bedeutung audiovisueller Wahrnehmung im Kino und Fragen nach filmischen Instanzen der Fiktionalisierung hat Dr. Lehmann filmtheoretisch Perspektiven von Bildraum, Erfahrungsraum und Wahrnehmungsbild zusammengefasst. Anhand einer detaillierten Szenen- und Kontextanalyse des Fernsehfilms Wut von Züli Aladağ (D, 2005) machte sein Vortrag die erwähnten Konzepte anschaulich nachvollziehbar. Theorien und Konzepte zur Zuschauerposition, zur Wahrnehmung und zu Tradierungsprozessen, welche filmhistorisch hergestellt werden, bildeten den Schwerpunkt seines Beitrages. Im letzten Teil des Vortrages widmete er sich der Frage nach der Art und Weise, in der Filme öffentlich in Erscheinung treten und dabei in widerstreitenden Lesarten objektiviert werden.

Der dritte Workshop Jenseits des deutsch-türkischen Kinos unseres Forschungsprojektes lieferte damit eine Bestandsaufnahme der bisherigen Forschung und fungierte als Plattform für die Erprobung neuer Ansätze. Das Problemfeld rund um die Konzeptionen des „Deutsch-Türkischen“ wurde nicht nur kritisch reflektiert und festgehalten; ebenso wurden die politischen Dimensionen dieses Kinos jenseits nationaler Zugehörigkeit oder Identitätsproduktion dargelegt. In diesem Sinne hat der Workshop einen wichtigen Beitrag zur Ausformulierung neuer Ansätze geleistet, die in den bestehenden Forschungsdialog einzubringen sind und die Debatte in Zukunft um neue Erkenntnisse erweitern können.