Unsere Zivilisation basiert auf dem, was schön, gut, wahr und nützlich ist. Als unser Herr insan [den Menschen, den Menschen] erschuf, wurde er als der Ehrenwerteste und damit als der Schönste vorbestimmt. In einem Hadith rät uns unser geliebter Prophet, immer schön zu sein. Ebenso sagt unser verehrter Meister [Jalāl ad-Dīn Muhammad Rūmī, ein islamischer Gelehrter und Dichter aus dem 13. Jahrhundert]: "Derjenige, der auf schöne Weise kontempliert, sieht schön; derjenige, der schön sieht, denkt schön; und derjenige, der schön denkt, erhält Freude am Leben." (Recep Tayyip Erdoğan 2017) Die Türkei gehört heute zu den zehn Ländern mit den meisten Schönheitschirurg*innen pro Kopf und den meisten kosmetischen Eingriffen weltweit (ISAPS 2019), und ihre kulturelle und wirtschaftliche Hauptstadt Istanbul hat sich zu einem regionalen Zentrum der Schönheits- und Modeindustrie entwickelt. Als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan Ende März 2017 bei einer live im nationalen Fernsehen übertragenen Kundgebung vor rund 2.500 fast ausschließlich weiblichen Schönheitsunternehmer*innen die oben genannten Worte sprach, berief er sich auf mehrere maßgebliche muslimische Quellen, um die Idee einer gemeinsamen "Zivilisation" zu beschwören, die auf Schönheit beruht. Er bezeichnete die Schönheit als einen moralischen und ästhetischen, ja sogar heiligen Wert, denn was schön ist, ist auch gut, wahr, nützlich und ehrenhaft. Oberflächlich betrachtet begleitete die Rede die offizielle Unterzeichnung einer Verordnung, mit der die Rechte von Schönheitstherapeut*innen erweitert wurden, einschließlich des Rechts, Laser-Haarentfernungsgeräte zu betreiben. Auf einer tieferen Ebene wurde der Schönheit ein immenser wirtschaftlicher und politischer Wert beigemessen, obwohl sie scheinbar zeitlos aus der globalen Schönheitsindustrie verschwunden ist, die in den letzten zwei Jahrzehnten nicht nur in der Türkei, sondern in fast allen Teilen der Welt enorm gewachsen ist (Jones 2010).