Generation(en) erzählen: Konzept und Hintergrund
Musik trägt Emotionen, weckt Erinnerungen und eröffnet neue Perspektiven. Als Impulsgeber im Digitalen Storytelling wurden drei audiovisuelle Elemente ausgewählt: Die Varieté-Reihe „Paris by Night“, die DDR-Radiosendung „Stimme der Heimat“ (Tiếng Quê Hương) sowie die vietnamesische Musiksammlung/Playlisten des Forschers und Radiohosts Cường Phạm. Die Varieté-Reihe „Paris by Night” (direct-to-video) wurde seit 1983 zunächst in Paris später in Orange County, California von Thuy Nga Productions - ehemaligen geflüchteten „Boat People" (Thuyền nhân) und Regimegegnern - produziert und vermarktet. In Vietnam waren die Shows lange Zeit offiziell nicht erhältlich, da sie als reaktionär galten. In der Diaspora (Hải ngoại) entwickelten sich die auf Vietnamesisch produzierten Shows hingegen schnell zum wichtigsten Unterhaltungsangebot für „Übersee Vietnamesen” (Việt Kiều). Zum einen lag das daran, dass bis zur politischen Öffnung Vietnams infolge der „Đổi Mới” Reformen kaum vietnamesisch-sprachige Kulturangebote in der Diaspora existierten, zum anderen bot Thuy Nga in der Varieté-Reihe mit starken Kontrasten zu den monotonen und ideologisch geprägten vietnamesischen Staatsmedien ein Novum, dessen überromantisierte Darstellungen eine willkommene Abwechslung waren. Ferner bedienten die Thuy Nga Produzenten in ihren Shows geschickt die Nachfrage bzw. Sehnsüchte der Übersee Communities nach kultureller Identität. Die „Paris by Night“-Videokassetten wurden generationsübergreifend - sowohl bei „Boat-People“ als auch Vertragsarbeiter*innen - als Familien-Event konsumiert und im Freundes- und Bekanntenkreis weitergereicht. So etablierte sich „Paris by Night“ in den 90er Jahren zum Jour fixe in vielen Haushalten der vietnamesischen Diaspora.
Kontext
Seit dem Ende des 2. Weltkriegs bis heute gab es diverse Migrationsbewegungen zwischen Vietnam und Deutschland. Aktuell leben circa 180.000 Menschen mit mit vietnamesischem Migrationshintergrund in Deutschland, davon 25.000 Menschen in Berlin. Eine der zahlenmäßig größten Gruppen bilden die sogenannten Vertragsarbeiter*innen, die zum Ende der 1970er und den 1980er Jahre als Arbeitskräfte in die ehemalige DDR entsendet wurden. Während der Austausch für die beiden sozialistischen Staaten eine Win-Win-Situation war, blieb die Migration für die ca. 60.000 Vertragsarbeiter*innen hingegen ambivalent. Die Auflösung der DDR im Zuge der deutschen Wiedervereinigung trug dazu bei, dass die meisten von ihnen ihre Anstellungen, ihren Aufenthaltsstatus und ihre damit verknüpften Lebensgrundlagen verloren. Während das wiedervereinigte Deutschland mit sich selbst beschäftigt war, fanden sich die Migrant*innen in einer rechtlich und wirtschaftlich ungewissen Situation ohne klare Zukunftsaussichten wieder. Einige fanden sich mit einer „Rückkehrprämie“ in Höhe von 2.500 DM ab und gingen zurück nach Vietnam. Die Übrigen versuchten sich während der turbulenten Zeiten in Deutschland durchzuschlagen. In Westdeutschland richteten sich die unter dem Asylgesetz aufgenommenen „Boat People” ihr Leben ein. Sie flohen Ende der 1970er Jahre aus Vietnam, als klar wurde, dass die Wiedervereinigung von Nord- und Südvietnam unter der Regierung der Kommunistischen Partei vollzogen werden würde. Sie flohen - zum Teil auf einfachsten Fischerbooten - über das Südchinesische Meer und strandeten mit ihren Familien zunächst in provisorischen Lagern in südostasiatischen Nachbarländern wie den Philippinen, Hong Kong und Malaysia. Nachdem sie als „Kontingentflüchtlinge” anerkannt wurden, konnten sie eine Übersiedlung unter anderem nach Westdeutschland, Frankreich, Großbritannien oder in die USA beantragen.
Seit den 2000er Jahren lässt sich eine neue Entwicklung der Migration beobachten. Insbesondere junge Migrant*innen aus Zentralvietnam begeben sich aufgrund von wirtschaftlicher Not und Chancenlosigkeit im Heimatland oft über osteuropäische Routen und illegale Netzwerke auf die Suche nach einem besseren Leben in Europa. Die Heterogenität der sogenannten ersten, eineinhalben und zweiten Generation findet in der deutschen Mehrheitsgesellschaft kaum Beachtung. Im Gegenteil: Vorurteile, institutionelle Diskriminierung bis hin zu rassistischer Ausgrenzung prägen leider immer noch den Alltag der Individuen, die sich selbst eher durch ihre Zugehörigkeit zu bestimmten Milieus als über ethnische oder nationalstaatliche Zuschreibungen identifizieren.
Vor diesem Hintergrund möchte das Vlab Berlin in Kooperation mit dem Sonderforschungsbereich 1171 „Affective Societies: Dynamiken des Zusammenlebens in bewegten Welten” und dem Dokumentationszentrum für Migration in Deutschland ein Format des Digitales Storytelling entwerfen, um den Wissensaustausch zwischen Akademia und Communities zu fördern. Innerhalb der Diaspora soll Raum für inter-generationen-Austausch und Reflektion geschaffen werden.