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Generation(en) erzählen: Konzept und Hintergrund

Musik trägt Emotionen, weckt Erinnerungen und eröffnet neue Perspektiven. Als Impulsgeber im Digitalen Storytelling wurden drei audiovisuelle Elemente ausgewählt: Die  Varieté-Reihe „Paris by Night“, die DDR-Radiosendung „Stimme der Heimat“ (Tiếng Quê  Hương) sowie die vietnamesische Musiksammlung/Playlisten des Forschers und Radiohosts  Cường Phạm. Die Varieté-Reihe „Paris by Night” (direct-to-video) wurde seit 1983 zunächst in Paris später  in Orange County, California von Thuy Nga Productions - ehemaligen geflüchteten „Boat  People" (Thuyền nhân) und Regimegegnern - produziert und vermarktet. In Vietnam waren  die Shows lange Zeit offiziell nicht erhältlich, da sie als reaktionär galten. In der Diaspora (Hải  ngoại) entwickelten sich die auf Vietnamesisch produzierten Shows hingegen schnell zum  wichtigsten Unterhaltungsangebot für „Übersee Vietnamesen” (Việt Kiều). Zum einen lag das  daran, dass bis zur politischen Öffnung Vietnams infolge der „Đổi Mới” Reformen kaum  vietnamesisch-sprachige Kulturangebote in der Diaspora existierten, zum anderen bot Thuy  Nga in der Varieté-Reihe mit starken Kontrasten zu den monotonen und ideologisch  geprägten vietnamesischen Staatsmedien ein Novum, dessen überromantisierte  Darstellungen eine willkommene Abwechslung waren. Ferner bedienten die Thuy Nga  Produzenten in ihren Shows geschickt die Nachfrage bzw. Sehnsüchte der Übersee  Communities nach kultureller Identität. Die „Paris by Night“-Videokassetten wurden  generationsübergreifend - sowohl bei „Boat-People“ als auch Vertragsarbeiter*innen - als  Familien-Event konsumiert und im Freundes- und Bekanntenkreis weitergereicht. So  etablierte sich „Paris by Night“ in den 90er Jahren zum Jour fixe in vielen Haushalten der  vietnamesischen Diaspora.

Sammelband: Ist Zuhause da, wo die Sternfrüchte süß sind? Viet-deutsche Lebensrealitäten im Wandel

Das VLab Berlin hat 2020 in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung den Sammelband „Ist Zuhause da, wo die Sternfrüchte süß sind? Viet-deutsche Lebensrealitäten im Wandel“ herausgegeben und behandelt darin die Lebensrealitäten der 1 ½., 2. und 3. Generation Viet-Deutscher.

Die Kinder der ehemaligen vietnamesischen Vertragsarbeiter:innen und Lehrlinge in der DDR, der „Bootsflüchtlinge“ in Westdeutschland, der Studierenden auf beiden Seiten sind erwachsen geworden. Sie sind Unternehmer:innen, Künstler:innen, Journalist:innen, Ärzt:innen, uvm. Hinter dem Klischeebild des Bildungswunders und der Vorzeigemigrant:innen stecken vielschichtige Narrative, die gehört werden wollen. Geschichten über die Suche nach Identität, über Zugehörigkeit und Ausgrenzung, Familie und Gesellschaft, über das Geschenk und die Zerrissenheit, mit zwei Kulturen aufzuwachsen.
Dieser Sammelband ist eine Zusammenstellung aus wissenschaftlichen Beiträgen und persönlichen Essays über die Lebensrealitäten junger Viet-Deutscher. Er richtet sich an alle, die offen für neue Perspektiven sind und bereit, den unterrepräsentierten Stimmen unserer Gesellschaft zuzuhören.

Kontext

Seit dem Ende des 2. Weltkriegs bis heute gab es diverse  Migrationsbewegungen zwischen Vietnam und Deutschland. Aktuell leben circa 180.000 Menschen mit mit vietnamesischem Migrationshintergrund in Deutschland, davon 25.000 Menschen in Berlin. Eine der zahlenmäßig größten Gruppen bilden  die sogenannten Vertragsarbeiter*innen, die zum Ende der 1970er und den 1980er Jahre als  Arbeitskräfte in die ehemalige DDR entsendet wurden. Während der Austausch für die beiden  sozialistischen Staaten eine Win-Win-Situation war, blieb die Migration für die ca. 60.000  Vertragsarbeiter*innen hingegen ambivalent. Die Auflösung der DDR im Zuge der deutschen  Wiedervereinigung trug dazu bei, dass die meisten von ihnen ihre Anstellungen, ihren  Aufenthaltsstatus und ihre damit verknüpften Lebensgrundlagen verloren. Während das  wiedervereinigte Deutschland mit sich selbst beschäftigt war, fanden sich die Migrant*innen  in einer rechtlich und wirtschaftlich ungewissen Situation ohne klare Zukunftsaussichten  wieder. Einige fanden sich mit einer „Rückkehrprämie“ in Höhe von 2.500 DM ab und gingen  zurück nach Vietnam. Die Übrigen versuchten sich während der turbulenten Zeiten in  Deutschland durchzuschlagen. In Westdeutschland richteten sich die unter dem Asylgesetz aufgenommenen „Boat People”  ihr Leben ein. Sie flohen Ende der 1970er Jahre aus Vietnam, als klar wurde, dass die  Wiedervereinigung von Nord- und Südvietnam unter der Regierung der Kommunistischen  Partei vollzogen werden würde. Sie flohen - zum Teil auf einfachsten Fischerbooten - über  das Südchinesische Meer und strandeten mit ihren Familien zunächst in provisorischen  Lagern in südostasiatischen Nachbarländern wie den Philippinen, Hong Kong und Malaysia.  Nachdem sie als „Kontingentflüchtlinge” anerkannt wurden, konnten sie eine Übersiedlung  unter anderem nach Westdeutschland, Frankreich, Großbritannien oder in die USA beantragen.  

Seit den 2000er Jahren lässt sich eine neue Entwicklung der Migration beobachten. Insbesondere junge Migrant*innen aus Zentralvietnam begeben sich aufgrund von  wirtschaftlicher Not und Chancenlosigkeit im Heimatland oft über osteuropäische Routen und  illegale Netzwerke auf die Suche nach einem besseren Leben in Europa. Die Heterogenität der sogenannten ersten, eineinhalben und zweiten Generation findet in der deutschen Mehrheitsgesellschaft kaum Beachtung. Im Gegenteil: Vorurteile, institutionelle  Diskriminierung bis hin zu rassistischer Ausgrenzung prägen leider immer noch den Alltag der  Individuen, die sich selbst eher durch ihre Zugehörigkeit zu bestimmten Milieus als über  ethnische oder nationalstaatliche Zuschreibungen identifizieren.  

Vor diesem Hintergrund möchte das Vlab Berlin in Kooperation mit dem Sonderforschungsbereich  1171 „Affective Societies: Dynamiken des Zusammenlebens in bewegten Welten” und dem Dokumentationszentrum für Migration in Deutschland ein Format des Digitales  Storytelling entwerfen, um den Wissensaustausch zwischen Akademia und  Communities zu fördern. Innerhalb der Diaspora soll Raum für inter-generationen-Austausch und Reflektion geschaffen werden.