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Transkript: Naika Foroutan - Narrative der Ambivalenz

Naika Foroutan: Narrative der Ambivalenz. Aushandlungen von Flucht und Migration in Deutschland.
Vortrag vom 11.11.2020

00:00:13
Naika Foroutan: Liebe Yvonne, lieber Jan, ich freue mich sehr, dass ihr mich eingeladen habt. Ich freue mich sehr auf die Lecture und möchte gleich ankündigen, dass ich diese Lecture in dieser Form schon bei der Flucht Konferenz gehalten habe vor einem Monat. Das heißt, diejenigen von euch, von Ihnen, die das da schon gehört haben, können sich jetzt gleich hier ausschalten und dann zur Diskussion wieder einschalten. Oder einfach das Ganze nochmal hören und schauen, ob Sie sich an bestimmte Dinge vielleicht gar nicht mehr erinnern. Und das jetzt nochmal festklopfen wollen. In jedem Fall geht es in meinem Vortrag, den ich jetzt mal hier kurz freigeben möchte, um Narrative der Ambivalenz. Mal schauen, ob das funktioniert... Es geht um die Narrative der Ambivalenz, und zwar im Kontext von Flucht und Migration in Deutschland. Tatsächlich bin ich nicht sehr vertraut mit Forschung zu Emotionen, bewege mich aber mit meiner Forschung in einem hoch emotionalisierten Feld. Das geht nicht nur denjenigen so, die zu Migrationsfragen forschen. Das hat natürlich ganz speziell nochmal was damit zu tun, wenn man zum Kontext Islam oder Muslime forscht. Das betrifft aber auch Personen, die zur Frage von Gender oder Umwelt und Klima forschen. Wir wissen, wir leben in einer hoch emotionalisierten, polarisierten Zeit, teilweise mit sehr, sehr großem emotionalen Zuspruch und mit starker emotionaler Anfeindung. Ich würde gerne die Ambivalenz ein bisschen verdeutlichen anhand gesammelter Daten. Einige von denen haben wir selber erhoben. Entweder am BIM, am Berliner Institut für Migrations- und Integrationsforschung, oder am DeZIM, am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung. Und viele der anderen Daten habe ich einfach gesammelt, um nochmal ein Bild der Gefühlslage, vor allen Dingen rund um den sogenannten Sommer der Migration ein bisschen zu schaffen und zurückzuerinnern und nachher in der Diskussion nach vorne zu schauen. Die Frage, anhand derer ich mein... anhand der ich meinen Vortrag jetzt gegliedert und organisiert habe, lässt im Grunde genommen sich an der Migrationsabwehr ausrichten und fragt, ob diese Migrationsabwehr affektiv zu erklären ist. Ich habe in den letzten Jahren zunehmend an Hand von drei zentralen Forschungsfragen Studien aufgesetzt. Zum einen ist die Frage, ob es die zunehmenden Zahlen sind, also die tatsächliche Erhöhung der Migrationszahlen, oder ob es eine zunehmende Hybridisierung und Pluralisierung von Gesellschaften ist, die diese Abwehr erzeugen. Oder es ist vielleicht beides zeitgleich? Als nächstes habe ich geforscht zu der Frage, ob eine zunehmende Demokratisierung möglicherweise gar nicht zu zunehmend mehr Demokraten und Demokratinnen führt, sondern zu einer zunehmenden Ambivalenz. Denn dadurch, dass sich das demokratische Wissen erhöht, erhöht sich natürlich auch das Wissen darum, was die Gesellschaft noch nicht erreicht hat. Und das kann auch zusätzlich Stress und Abwehr erzeugen. Das ganze habe ich, dadurch dass ich stark aus der Integrationsforschung auch komme, untersucht und dazu empirisch geforscht mit Bezug auf eine sogenannte normative Paradoxie, der Feststellung nämlich, dass zunehmende Indikatoren für Integration auch offensichtlich zunehmenden... zunehmend Teilhabekonflikte erzeugen, zu Privilegienstress führen und zu dem, was wir hier in der Forschung Outgroup Mobility Threat nennen, also Bedrohungsgefühl durch den Aufstieg vormals Unterschichts-Gruppen. Die Hypothesen, die ich hier zur Diskussion stellen möchte, sind auch eben das, was ich gesagt habe: Das Versprechen der Demokratie setzt Migrantinnen, Migranten in die Position, mehr zu fordern. Dazu gibt es sehr viel Literatur. Beispiel von Sandro Mezzadra, aber auch man hat Serhat Karakayali, die da ja auch mitbeteiligt ist oder Manuela Bojadzijev. Und die Frage, die wir uns auch stellen, ist, ob es so etwas wie eine positive Dissonanz gibt, die durch Ambivalenz entsteht. Dazu werde ich aber noch mehr eingehen im Laufe des Vortrages. Und die Frage hab ich eben schon artikuliert, ob der sichtbare Aufstieg von Migrantinnen und Migranten so etwas wie einen zusätzlichen Aushandlungsdruck auf die Gesellschaft erzeugt. Also ich werde in drei Teilen durch diesen Vortrag gehen und ich hab mir so ungefähr vierzig Minuten vorgenommen. Ich fange mal an mit der Frage von Identität und Emotionalität in Zahlen. Es wird ja so oft gesagt, dass Zahlen im Grunde genommen sinnbildlich sind für ent-emotionalisierte Äußerungen. Wir alle wissen, dass Zahlen sehr, sehr hohe Wellen an Emotionen erzeugen können und dafür auch tatsächlich Bilder stehen. Wenn wir uns einfach mal die konkreten Zahlen zu Flucht und Migration anschauen, anhand von Asylantragszahlen, so können wir ganz deutlich erkennen, dass es im Sommer der Migration 2015 bis '16 einen sehr hohen Peak gab, der dann relativ bald auch wieder abflaut. Allerdings hat dieser Peak in dieser Zeit für regelrechte emotionale Verwerfungen und affektive Verwerfungen gezeugt. Darüber können wir nachher noch diskutieren. Was interessant ist, ist, dass dieser Peak der Zahl zu ganz vielen Debatten rund um die Frage von Identität geführt hat. In Deutschland wurde mehrfach darüber diskutiert, dass Deutschland jetzt seine Identität verliert, ob Deutschland noch bleibt, Deutschland bleiben werde, war eine große, offensichtlich auch ernst gemeinte Frage, so ernstgemeint, dass sich die Kanzlerin bemüßigt sah, sie zu beantworten. Deutschland wird Deutschland bleiben mit allem, was uns lieb und teuer ist, antwortete sie ein Jahr später, im August 2016. Wir können sehen, dass tatsächlich die Zahl sich im ab einem bestimmten Moment eingependelt hat. Wir haben zwar immer noch ein relativ hohes Niveau an Schutzsuchenden, der Kick von 2015, 2019 ist aber trotzdem in '19 erfasst worden als geringster Anstieg seit dem Jahr 2012. Trotzdem, auch wenn wir jetzt versuchen, darüber hinwegzugehen und sagen 2015/16 war ein Außnahmejahr, auf das relativ schnell mit emotionaler Kälte und Härte reagiert wurde - Stichwort Türkei-Deal - können wir trotzdem nicht so tun, als hätte diese Ausnahmesituation Deutschland und seine Positionierung in Fragen der Migrationspolitik oder als Migrationsakteur weltweit nicht verändert. Wir können sehen, dass ist vielen Menschen gar nicht bewusst, dass Deutschland sich tatsächlich zu einem zentralen Akteur der Migrationspolitik entwickelt hat. Insgesamt gab es im Jahr 2019 knapp 300 Millionen weltweite internationale Migranten. Wenn man die Zahlen anschaut in absoluten Zahlen, stellt sich da die USA an die Spitze. Es ist aber direkt schon an zweiter Stelle gefolgt von Deutschland und Saudi Arabien, danach Russland, UK und die Vereinigten Arabischen Emirate und so weiter. Ich glaube, den wenigsten Menschen ist tatsächlich bewusst, dass man Deutschland auf Platz 2 setzen würde in Fragen der absoluten Zahl der internationalen Migrantinnen und Migranten. Und auch ist ihnen wahrscheinlich nicht bewusst, dass Deutschland auch im Ranking der weltweiten Fluchtmigration bzw. der Aufnahme von Geflüchteten innerhalb der Top 5 firmiert. Ganz oben steht natürlich die Türkei, dann Kolumbien, Pakistan, Uganda und Deutschland. In den letzten Erhebungen hat Deutschland sich sogar auf Platz 3 hochgearbeitet, gemeinsam jetzt mit Pakistan und Uganda. Also tatsächlich ist es nicht nur ein Außnahmejahr gewesen, das schon in absoluten Zahlen, aber es ist auch ein Jahr gewesen, das in Folge Deutschlands Ranking Position weltweit verändert hat. Und seitdem ist Deutschland immer noch relativ stabil, eben in den Top 3. Was wir auch feststellen können, ist, dass es nicht nur das internationale Migrationsgeschehen und die Fluchtaufnahme ist, die Deutschlands Position verändern. Auch intern hat die Frage von Migration sich verknüpft mit der Frage der Pluralisierung und Hybridisierung. Laut Statistischem Bundesamt haben aktuell 26 Prozent aller Bürgerinnen in Deutschland einen Migrationshintergrund. Jede dritte Familie zählt dazu und 40 Prozent aller schulpflichtigen Kinder. Es gibt Städte wie Frankfurt am Main, wo bereits 75 Prozent aller Kinder unter sechs Jahren einen sogenannten Migrationshintergrund haben. Dazu liegt Berlin deutlich abgeschlagen. Obwohl daran wahrscheinlich das Bauchgefühl der Menschen hinein fragt, würden sie wohl immer als erstes Berlin nennen. Kein Mensch würde vermuten, dass Berlin noch deutlich hinter Nürnberg, Stuttgart, München, Düsseldorf oder sogar Hannover liegt. Also insofern sind da auch tatsächlich emotionale und affektive Zusammenhänge zu sehen, wie man Migrationsgeschehen einsortiert. Was wir vielleicht mitnehmen sollten, ist, dass 81 Prozent der Minderjährigen mit Migrationshintergrund bereits in Deutschland geboren sind, also de facto über keine eigene Migrationsgeschichte verfügen und knapp 90 Prozent von ihnen haben die deutsche Staatsangehörigkeit, knapp 90 Prozent der Minderjährigen. Auch das ist etwas, was man sich immer wieder fragen muss. 90 Prozent ist schon eine ziemlich hohe Zahl. Im Grunde genommen muss man sich vor Augen führen, dass wahrscheinlich die allermeisten Jugendlichen, die man auf der Straße sieht, die man zunächst mal im ersten Affekt als Ausländer oder Migranten oder was auch immer kategorisiert, erstmal gar keine Migranten sind, also keine eigene Migrationserfahrung haben, hier geboren sind und dann auch noch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Auch das ist wahrscheinlich ein Abgleich, den man immer wieder für sich aktiv kognitiv vornehmen muss, weil affektiv ist das noch nicht verankert. Auch ist interessant, 40 Prozent der hier geborenen Personen mit Migrationshintergrund haben einen Elternteil ohne Migrationshintergrund. Auch hier ist natürlich die Frage zu stellen, was wiegt mehr? Wieso wirkt statistisch dieser Migrationshintergrund so lange nach? Und wieso sehen wir vor allen Dingen diejenigen als Migrantinnen und Migranten an, die phänotypisch erkennbar sind? Das sind alles Fragen, die rund um diesen Zusammenhang der Veränderung der deutschen Gesellschaft, der Hybridisierung der Gesellschaft mitdiskutiert werden oder, wenn sie nicht offen diskutiert werden, irgendwie subkutan mitschwingt und Affekte mit regulieren. Was tatsächlich die Frage der Affektivität von Migrationszusammenhängen angeht, so ist tatsächlich mein Versuch hier zu sagen, Migrationsaffekte entstehen auch ohne konkrete Zahlen. Wir haben jetzt für '19 die Datenlage etwas 327 000 Personen mehr zu- als abgewandert sind. Wir wissen, dass diese Zahlen nicht wirklich neu sind. In der Einwanderungsgeschichte Deutschlands, wir finden ungefähr analoge Zahlen Höhen schon 2011, '12, '13, ohne dass wir in dieser Zeit akuten Migrationsstress hätten für die Gesellschaft deuten können. Wir finden sie allerdings auch in den 90er Jahren und haben dort, wenn sie mal sehen: Bis 2001 hatten wir auch noch 272 000 im Saldo. In den 90er Jahren hatten wir aber auch einen akuten Anstieg rassistischer Gewalt. Und so führt das dazu, dass ganz oft die Formulierung irgendwie greift, dass man sagt: "Naja, wenn so viele Migranten kommen, dann führt das auch zu Unruhen und zu Rassismus." Tatsächlich versuchen Sie sich mal zurück zu erinnern, ob Sie sich an Unruhen in 2011, '12 oder '13 aktiv erinnern können. Können Sie nicht. Denn das war tatsächlich zu dem Zeitpunkt noch kein großes affektives Thema für die Gesellschaft. Was wir auch sehen können, ist, dass offensichtlich 2015 eine große Trauma-Erzählung für viele geworden ist. Als jetzt im Sommer darüber diskutiert wurde, ob das Lager Moria evakuiert werden soll, gab es sehr viele mediale Stimmen. Ich scrolle jetzt mal hier eine einige durch. Interessanterweise ist der Typus, der dort berichtet, sich auch sehr ähnlich. Dazu habe ich jetzt keine Forschung. Vielleicht macht jemand von Ihnen dazu Forschung. Sie können ja mal drauf schauen. Also Refugees Welcome. Eine Kolumne von Nikolaus Blome. "Ja, ist denn schon wieder 2015?", wird hier gefragt. Dieser Herr Journalist fragt auch und sagt und stellt fest "Der deutsche Alleingang von '15 darf sich nicht wiederholen." Dieser da unten, Christoph Schwennicke von Cicero ruft auch laut aus: "Bitte nicht nochmal wie 2015". Auch dieser junge Mann Tim Röhn: "Wo fangen wir mit dem Evakuierungsimperativ an und wo hören wir auf?" Offensichtlich scheint das für so eine mittelalte weiße, deutsche, männliche, gutsituierte Schicht ein relativ stark affektiver Momentum gewesen zu sein.

00:15:41
Kommen wir in den zweiten Teil. Ein Rückblick in die Ambivalenz von 2015. An die Bilder von 2015 auch an das, was sie emotional erzeugt haben, können sich wahrscheinlich alle hier im Webex Meeting noch genau erinnern. Wir hatten am Anfang, und darüber wird immer wieder gesprochen, wenn über die Willkommenskultur den Willkommenssommer gesprochen wird, ein sehr optimistisches gesellschaftliches Klima. 2015 fragte das ZDF-Politbarometer im September: "Kann Deutschland so viele Flüchtlinge verkraften?" Und eine deutliche Mehrheit von 62 Prozent sagte klar "ja". Die Bilder aus München mit den Empfängen, mit dem Willkommenszeichen, mit den vielen Menschen, die dort waren, um Geflüchtete aufzunehmen und unterzubringen, sind stark präsent und sind in dieser Form auch um die Welt gegangen. Tatsächlich ist aber den wenigsten bewusst, dass dieser Optimismus schon sehr früh kippt. Hier sehen Sie mal den Angstverlauf von September zu Oktober. Auf der linken Seite ein ARD-Deutschlandtrend von Oktober 2015. "Es macht mir Angst, dass so viele Flüchtlinge zu uns kommen" und sie sehen, dass der Trend schon in der 40. Kalenderwoche gekippt war. Es ist ganz interessant, wie sich das so verfestigen konnte, dass das alles erst mit der sogenannten Kölner Silvesternacht passiert ist und dass bis dahin Deutschland in trauter Einheit im Willkommensjubel gemeinschaftlich verfangen war. In der Tat haben wir den ersten Kipp-Moment schon im Oktober und es verstetigt sich immer deutlicher, sodass im Januar 2016 de facto schon eine emotionale Warte-Spirale darauf entstanden war. Auch die Meinungen zum Flüchtlingszuzug blieben ambivalent. Es blieb sehr optimistisch. Auf der einen Seite 60 Prozent, die sagten "Ich glaube, dass Flüchtlinge perspektivisch auf dem deutschen Arbeitsmarkt gebraucht werden" und gleichzeitig 50 Prozent, die sagten "Es macht mir Angst, dass so viele Flüchtlinge zu uns kommen". Also die Ambivalenz zwischen einem utilitaristischen Narrativ "Wir brauchen sie" und einer bereits bestehenden affektgeladenen Angst war schon von Anfang an spürbar. Im November konnte man die Ambivalenz auch deutlich erkennen. Die Wirtschaftszahlen, die damals erhoben wurden, zeigten, dass im November '15 die Bewertung der wirtschaftlichen Lage in Deutschland als außerordentlich gut dargestellt wurde und auch die Bewertung der eigenen wirtschaftlichen Lage im Zeitverlauf sehr, sehr hoch und sehr positiv war. Trotzdem blieb das Argument bis heute verfestigt, dass die Menschen Angst vor den vielen Flüchtlingen hatten, weil sie ihren ökonomischen Status in Gefahr sahen. Deshalb haben mehrere, ARD-Trend, ZDF-Barometer und andere, Forschung bereits erhoben, dass tatsächlich einer der großen Angstfaktoren ein emotionaler war. Nämlich so, wie wir hier sehen, knapp 80 Prozent, die sagten, Gründe für die Angst seien: der Einfluss des Islam könne zu stark werden, und deutlich weniger fürchteten eine Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Das affektive Bekenntnis blieb trotzdem noch hoch. Bis in den November hinein waren durchweg alle Parteien bis auf die AfD dafür, das Recht auf Nachzug von Ehepartnern und Kindern für Asylberechtigte aufrechtzuerhalten. Auch bei der CDU/CSU stand das in dem Falle bei einer deutlichen Mehrheit ganz klar fest. Und wir wissen aus dieser Zeit auch, dass die Zahl der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit überproportional stieg. Eine Studie unserer Kollegen Serhat Karakayali und Olaf Kleist, Serhat, der das damals für das BIM gemach hat, und Olaf Kleist, der das für das IMIS in Osnabrück gemacht hat, konnte tatsächlich belegen, dass die ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit deutlich anstieg. Dass sehr viele Menschen, die vorher überhaupt nicht aktiv waren, sich in diesen Strukturen ihre Räume geschaffen haben. Und eine Studie, die 2018 veröffentlicht wurde, zeigte, dass seit 2015 insgesamt 55 Prozent der Bevölkerung ab 16 Jahren Flüchtlinge in Deutschland unterstützt haben. Also die Zahlen waren überproportional hoch, trotz der ambivalenten Situation, dass die affektive Abwehr schon sehr früh begonnen hat. Es gab, wie ich eben schon gesagt habe, sehr konkurrierende Narrative und wir können nachher gerne darüber diskutieren, ob möglicherweise eine so hochgradig ambivalente Situation auch eine so hohe affektgeladene Positionierung erzeugt, also ob Ambivalenz möglicherweise antreibt zu stärkeren affektiven Positionen. Wir haben ganz klar das utilitaristische Narrativ von Anfang an gehabt. "Flüchtlinge sind das Beste für Deutschland", sagte der Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Die Welt schrieb "Nach sieben Jahren bringt ein Flüchtling dem Staat Geld". Oder NTV schrieb "Flüchtlinge kurbeln die deutsche Wirtschaft an", "Flüchtlinge, das Fundament für ein zweites Wirtschaftswunder" et cetera. Also diese Positionierung vonseiten der Wirtschaftsforschungsinstitute war relativ am Anfang schon sehr optimistisch. Gleichzeitig clashte das mit dem vorherrschenden Integrationsnarrativ, dass Integration sozusagen eine Mammutaufgabe sei, die über Generationen hinweg anhalte. Und selbst diejenigen, die seit den 50er Jahren hier seien, hätten es noch nicht geschafft. Wie wolle man das denn mit all den vielen Neuen schaffen? Integration heißt Anpassung an unsere Kultur. Multikulti ist gescheitert. Diese Debatten hatten wir schon vorgelagert. Das Integrationsnarrativ als eine Aufgabe, die diese Menschen nie bewältigen werden, war die ganze Zeit stabil. Das kreuzte sich mit einem bereits vorher entstandenen Überfremdungsnarrativ. Diese Vorstellung von Überfremdung und im Grunde genommen Volkstod durch Überfremdung entstand aber nicht erst im Zuge der Fluchtmigration 2015, sondern deutlich vorgelagert. Es gab schon das Buch von Renaud Camus, dem französischen rechten, neurechten Philosophen, der in seinem Buch "Le Grand Remplacement", also "der große Austausch", bereits deutlich vorher darüber gesprochen hatte, dass Migrantinnen/Migranten besonders aus dem Na... aus dem Raum Naher und Mittlerer Osten die europäischen Länder im Grunde genommen überfallen würden. Nach einem großen Plan, den die Eliten hätten, sollte die Bevölkerung ausgetauscht werden, weil diese jungen Männer eben körperlich stärker sein und besser arbeiten könnten. Et cetera et cetera. Diese Verschwörungstheorien waren schon da. Pegida war schon da. Pegida hatte schon 2014 in Dresden seine Weihnachtslieder gesungen. Das alles wird immer vergessen, wenn man diese Frage der Fluchtmigration 2015 direkt kausal an die emotional affektive Migrationsabwehr knüpft. Auch das Kriminalitätsnarrativ war natürlich vorher schon da. Ich hab dieses Kriminalitätsnarrativ mitgebracht, weil immer wieder auch Kriminologinnen/Kriminologen, aber auch die Polizei sich dagegen positioniert hat, Zahlen erhoben hat. Immer wieder gezeigt hat, dass diese Zahlen keine signifikante Kriminalität bei Geflüchteten feststellen lassen. Aber diese Daten überhaupt nicht gegen das Bauchgefühl oder gegen diesen affektiven Moment durchkamen. Dieser narrative Turn nach der Silvesternacht 15/16 hat sich eigentlich nur manifestiert. Ich habe eben schon gesagt, dass das Ganze schon im Oktober begann, aber damit verfestigte sich ganz stark ein sehr etabliertes Vergewaltigungsnarrativ. "Die geflüchteten migrantischen Männer, die im Grunde genommen dafür sorgen, dass die deutsche Frau hier nicht mehr sicher sein kann." Und dass wie Björn Höcke, den ich jetzt hier leider zitiere, wie er sagte: "Immer mehr Frauen erzählen mir, dass sie Opfer von Belästigung werden. Die Angsträume werden gerade für blonde Frauen immer größer und das im eigenen Land." Zeitgleich dazu gab es diverse Positionen in Zeitungen, die rassistische Stereotype weiter bedient haben. Sie erinnern sich möglicherweise daran: die schwarze Hand auf dem weißen Frauenkörper. Und interessanterweise gab es genau zu dieser Zeit diesen tragischen Fall, dieses vermissten vierjährigen Flüchtlingskindes, Mohammed, der nach seiner Entführung sexuell missbraucht und mit einem Gürtel erwürgt wurde, ohne dass daraus eine tatsächlich verknüpfte Kriminalitätserzählung wurde. Was ganz spannend ist und zu beobachten ist, ist, dass im Vorfeld in diesem Zuge der noch Willkommenszeit, aber auch noch danach sehr, sehr viele neue Bilder medial entstanden sind und diese Bilder haben plötzlich eine neue, einen neuen Zugang zu muslimischer Männlichkeit geschaffen. Etwas, was vorher immer nur patriarchal und weggewandt von Familie dargestellt wurde, wurde plötzlich in vielen Bildern erfasst, mit Darstellungen von explizit Männern mit kleinen Kindern. Es ist auch so, dass tatsächlich sehr viele, überproportional viele männliche Geflüchtete am Anfang kamen. Aber es kamen nun mal auch viele Familien. Es kamen auf Männer allein mit ihren Kindern. Es gab auch vielleicht für diejenigen, die sich daran erinnern, auch solche Bilder. Die Journalistin, die diesem Mann mit dem Kind auf dem Arm ein Bein stellte, was dann für großen... große Furore sorgte, aber auch eben immer wiederkehrend solche Bilder, die emotional sehr, sehr anrührend sind und die tatsächlich sich in eine Ikonografie eingeschrieben haben für viele von uns, die in dieser Zeit tatsächlich geforscht haben. Eines der wohl affektivsten und ikonischsten Bilder ist das Bild von Alan Kurdi und dem Mann, der am Strand dieses tote Kind of Arm trägt. Auch das ein Bild, das letztlich nur für kurze Zeit einen emotionalen, ein Mitleiden tatsächlich nochmal mitgebracht hat, bevor der große Sturm der Abwehr dann losging. Und interessanterweise konnten auch diese Bilder nicht viel daran ändern, dass das selbststabilisierende Bild immer noch aufrecht erhalten blieb. Ich würde hier gerne einfach mal von einem Facebook Account was vorlesen, weil ich finde, dass es so symptomatisch ist für die Betrachtung und dafür, dass solche Bilder doch am Ende nichts ändern an festgefahrenen Positionen. Ich zitiere mal kurz, das ist von einer Bekannten auf ihrem Facebook-Profil, was ich kopiert habe und anonymisiert habe. Sie sagte damals, Flüchtlingen sollte schon vor der Einreise klar sein, dass Europa bzw. Deutschland dem Prinzip der offenen Gesellschaft folgt, dass sich die Religionen hier dem Gesetz unterordnen müssen, dass Männer und Frauen, heterosexuelle und homosexuelle Menschen gleiche Rechte besitzen. Dass Kinder nicht geschlagen werden dürfen und die Verehrung des Propheten Mohammed bzw. des christlichen Messias kein höheres soziales Ansehen genießt als etwa die Verehrung von Borussia Dortmund, Monty Python oder Dolly Buster. Wer partout nicht will, dass seine Kinder in einer solch freien Gesellschaft aufwachsen, wird sein Exil freiwillig außerhalb Europas suchen. Ich habe das damals festgehalten, weil ich das so interessant finde, dieses Selbstbild der freien, offenen, positiven Gesellschaft und die das ... so im Grunde genommen aufbaut auf einem ganz innerlich verhakten, hochnäsigen Selbstbild, das tatsächlich nicht bereit ist, sich selber auch vor dem Hintergrund dieser Tragik, die zeitgleich passierte, nochmal neu zu reflektieren. Gleichzeitig wissen wir, dass ... in dieser Zeit Anschläge und rassistische Gewalt in Deutschland zunahmen, in genau dem Land, das diese Kollegin hier vorher als freie Gesellschaft aufschließt, als offen, als eine, die alles Mögliche toleriert. Mehr als 1700 Angriffe auf Flüchtlinge und Asylunterkünfte wurden allein im Jahr 2019 gezählt und 2019 war schon das abnehmende Jahr nach 2015.

00:29:22
Ich komme jetzt zum dritten und letzten Teil meines Vortrages und möchte mit Ihnen gerne die Frage der normativen Paradoxie diskutieren. Was passiert eigentlich, wenn Gesellschaften und Demokratien Gleichheit versprechen und diese nicht einhalten? Ich fange mal an mit dem Pluralitätsgrundsatz im Grundgesetz. Das deutsche Grundgesetz fußt auf einer Vorstellung von gesellschaftlicher Pluralität. Es ist ganz interessant, dass wir immer glauben, dass das eine neue Erzählstruktur, Erzählform dieser Gesellschaft sei und dass immer wieder der Versuch gestartet wird, Pluralität und Diversität als Fiktion und naive romantische Traumdeutung von entfremdeten Kosmopoliten hinzustellen und dass dabei vergessen wird, dass 1949, im Schatten der absoluten Grauen der Homogenisierung, ein Grundgesetz entstanden ist, das Gesellschaften in einer maximalen Pluralität nach vorne gedacht hat. Wenn wir anfangen mit den Grundrechten und ich fange mal mit dem Würde-Artikel an: "Die Würde des Menschen ist unantastbar" ist selbstverständlich ein pluraler Grundsatz, da es weder die Würde des Deutschen steht da drin, noch die Würde des Mannes, noch die Würde irgendeiner anderen aussortierten Person. Sondern es ist allgemein ein Menschenbild, das die Würde aller gleichstellt. Auch die, bei Persönlichkeitsentfaltung in Artikel 2 Grundgesetz, freie Meinungsäußerung alles das steht schon sinnbildlich für das, was als Pluralitätsnorm angedacht ist. Exemplarisch habe ich Artikel 3 mitgebracht: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden." Sie sehen, der Gleichheitsgrundsatz gibt schon ein Versprechen vor. Auch Artikel 4 "Die ungestörte Religionsausübung" verweist in diese Richtung. Es gibt also einen großen Kanon an nicht nur gedachter, sondern kanonisierte Pluralität. Und die Frage ist, wie auf dieses Gleichheitsversprechen tatsächlich politisch eingegangen wird. Wenn wir alle wissen, wenn es eine Norm gibt, so heißt es noch lange nicht, dass die Norm sich in empirische Realität umgesetzt hat oder auch politisch ohne Kämpfe und Konflikte durchgesetzt werden kann. Nehmen wir einfach mal "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" als Norm 1949 verankert und gleichzeitig wissen wir, dass bis tief in die 70er Jahre hinein Frauen ihre Männer fragen mussten, ob sie arbeiten gehen dürfen. Zumindest in Westdeutschland mussten sie das. Insofern sehen wir: Es gibt eine Norm und es gibt die Aushandlung dieser Norm. Und die Aushandlung dieser Norm geht mit Positionen, Verlusten einher und erzeugt somit Konflikte. Wir sehen eine große Ambivalenz. Wir haben das Versprechen der Gleichheit, weil bei gleichzeitig empirisch belegter Ungleichheit, nicht nur das, Ökonomen sagen, Deutschland ist z.B. in Fragen der Vermögensverteilung so ungleich wie das letzte Mal 1913. Das heißt, die Debatten um Ungleichheit haben zugenommen. Sie sind nicht mehr zu leugnen, sie liegen auf der Hand. Ich werde Ihnen hier die Zahlen nicht vorlesen, einfach nur exemplarisch einige herauspicken. Ich habe Ihnen gesagt, wir haben ungefähr 26 Prozent Personen mit Migrationshintergrund in diesem Land, aber nur acht Prozent Bundestagsabgeordnete. Wir haben nur drei Prozent in den 30 größten Stiftungen in Führungs-, neun Prozent in Führungspositionen, haben nur vier Prozent in den Räten deutscher Städte et cetera. Es gibt sehr viel empirische Evidenz für diese ungleiche Repräsentation. Die Frage ist: Was macht das mit Gesellschaften, wenn diese Repräsentation nicht mehr zu leugnen ist? Wir haben festgestellt, dass das... diese Ambivalenz, diese Paradoxie eines gleichzeitigen Versprechens, also einer normativen Setzung von Gleichheit bei gleichzeitiger widersprüchlicher empirischer Ungleichheit, dass das zu so einer Art kognitiven Dissonanz führt. Die Dissonanz liegt eben darin, dass sich hier zwei Positionen widersprechen und dass man darum bemüht ist, dafür eine Erklärung zu finden. Wir haben diese kognitive Dissonanz weiterhin überprüft und haben das festgestellt, indem wir eine Studie, die wir letztes Jahr im Dezember veröffentlicht haben, aus einem Datensatz, der Ost-Migrantische Analogien heißt. Da haben wir in der Bevölkerung nachgefragt, wie ihre demokratischen Grundüberzeugungen sind, und haben Kernüberzeugungen erfragt und feststellen können, dass tatsächlich ein überbordend hoher Anteil in der deutschen Bevölkerung kerndemokratische Grundüberzeugungen teilt. Fast 100 Prozent sind der Meinung, dass jede Person das Recht hat, ihre Meinung frei zu äußern. 82 Prozent finden, dass ungestörte Religionsausübung gewährleistet muss werden muss, und 95 Prozent niemand wegen seiner Herkunft benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Selbst das Thema Kinderrechte, das immer wieder diskutiert wird, würden 65 Prozent begrüßen, nämlich dass Kinder als mündige und selbstbestimmte Bürger betrachtet werden. Haben Sie das im Kopf? Nehmen wir mal das Beispiel ungestörte Religionsausübung, das 82 Prozent teilen. Und wir sehen trotzdem, dass gleichzeitig 30 Prozent finden, die Ausübung des islamischen Glaubens in Deutschland sollte eingeschränkt werden. 20 Prozent sagen, eine muslimische Frau mit Kopftuch sollte nicht bei einer politischen Fernsehsendung auftreten dürfen. Und 37 Prozent würden es verbieten wollen, dass muslimische Schülerinnen in der Schule ein Kopftuch tragen. Interessanterweise ist doch eine Mehrheit dafür, dass Kinder als mündige und selbstbestimmte Bürger betrachtet werden. Aber das hört scheinbar mit muslimischen Kindern auf. Diese werden nicht als mündig genug betrachtet, um sich aktiv für oder gegen gegen ein Kopftuch zu entscheiden. Wir haben diese Ambivalenz noch weitergeführt. Wir haben da nämlich herein geschaut bei den Personen, die wirklich aktiv der Meinung sind, dass ungestörte Religionsausübung gewährleistet wird, wie die sich positionieren, und haben festgestellt, dass auch hier nochmal 30 Prozent oder 66 Prozent finden, die Ausübung des islamischen Glaubens in Deutschland sollte eingeschränkt werden. Also es gibt sehr viel Ambivalenzen, die wir tatsächlich versucht haben dann irgendwie analytisch zu erklären. Und ein Konstrukt, mit dem wir gerade arbeiten, ist die Vorstellung, ob es möglicherweise eine Bedrohung durch den Aufstieg der Anderen geben könnte, also durch diejenigen, die man sonst in der Gesellschaft als unterschichtende Kategorie abgespeichert hat, von denen man denkt, deren hierarchische Position ist unter einem selbst platziert. Was passiert eigentlich, wenn diese Gruppen aufsteigen? Und wir haben Items konstruiert, um diese Aufstiege zu simulieren und haben sie im Bereich Arbeit, Bildung und Partizipation simuliert. Wir haben z.B. gefragt, "Ich hätte ein schlechtes Gefühl, wenn immer mehr Muslime in wichtige Führungspositionen auf dem Arbeitsmarkt kämen" und sehen, dass ein stabiles Drittel tatsächlich damit ein schlechtes Gefühl hätte, obwohl Integration durch Arbeit ein sehr prominentes Narrativ ist. Auch hier "Wir müssen aufpassen, dass Bildungserfolg von Muslimen nicht zu Lasten der Bildungschancen der Restbevölkerung gehen": Ebenfalls ein Drittel, die Bildungserfolg von Muslimen möglicherweise als Nullsummenspiel betrachten. Und ebenfalls ungefähr ein Drittel, das befürchtet "Je besser es den Muslimen geht, desto mehr Forderungen stellen sie". Obwohl genau dieses, in die Lage versetzt zu werden, Forderungen zu stellen, eine Position ist, die im Grunde genommen auch in der Frauenpolitik immer wieder diskutiert wurde, dass Emanzipation heißt, in die Lage versetzt zu werden, zu wissen, welche Rechte einem zustehen und dafür auch zu kämpfen.

00:38:10
Ich komme jetzt zu meinem Fazit, nachdem ich eben gezeigt habe, dass die Ambivalenz sich durchzieht durch Positionierung gegenüber der Frage von Migration. Das Fazit geht in die Richtung, dass der Aushandlungsdruck in der postmigrantischen Gesellschaft zunimmt. Denn in der postmigrantischen Gesellschaft und in pluralen Demokratien geht es in der Tat, und das ist die Hypothese meines Buches, das ich letztes Jahr geschrieben hab: "Die postmigrantische Gesellschaft: Ein Versprechen der pluralen Demokratie", darin komme ich zu dem Fazit, dass es tatsächlich nicht vorrangig um Migration geht, sondern vielmehr um das Gestalten von Postmigration, also um all das, was einsetzt, wenn allgemein feststeht, dass eine fortschreitende Pluralisierung nicht aufgehalten werden kann. Und es wird deutlich und ich denke, das hab ich eben auch anhand der Zahlen zeigen können, dass es tatsächlich um die Aushandlung von Anerkennung, von gleichen Chancen und von Teilhabemöglichkeiten geht, die als generell umkämpfte Güter jetzt auch von Migrant:innen und ihren Nachkommen beansprucht werden. Das Versprechen der Demokratie versetzt sie nämlich in die Lage, zu wissen, was ihr Recht ist, und sie beanspruchen das. Das führt zur Aushandlung. Ihr Aufstieg, ihre Emanzipation, ihre Teilhabeansprüche und ihre Sichtbarkeit polarisiert die Gesellschaften Europas. Denn diese Migrant:innen und ihre Nachkom men fordern Anerkennung ein nach der Migration, die, wie ich eben gezeigt habe, normativ versprochen wird, aber empirisch nicht gewährt. Gleichzeitig gilt trotzdem weiterhin dieser Moment, dass Gleichheit neben Freiheit als zentrales Versprechen der modernen Demokratien ausgerufen wurde und diese modernen Demokratien, in fast allen westlichen Verfassungstexten, aber auch darüber hinaus, berufen sich auf Pluralität und Parität als Grundsatz. Dieser permanente Mismatch erzeugt das, was ich eingangs als normatives Paradoxon beschrieben habe. Da habe ich mich berufen auf Axel Honneth, aber auch auf Chantal Mouffe und auf Dahl. Und das, was tatsächlich beobachtbar ist, das ist, dass diese Omnipräsenz des Migrationsdiskurses zentrale Aushandlungskonflikte um Gleichheit verdeckt und die Migrationsfrage zu einer dominanten Chiffre geworden ist und diese emotional affektiv aufgeladene Situation die Gleichheitsfrage vor allen Dingen anhand von Identitätspolitik diskutieren lässt. Damit begehren nun mal marginalisierte Gruppen auf. Sie machen sich sichtbar. Sie verweisen auf ihre ungleiche Position in der Gesellschaft. Und sie fordern zunehmend die Aushandlung eben von Anerkennung, Chancengleichheit und Teilhabe. Was zu dieser nervösen Grundkonstellation führt, weil damit im Grunde genommen im Raum steht, dass etablierte Positionen in Gesellschaften in dieser Form in Frage gestellt werden und Privilegien in der Form vielleicht nicht mehr dauerhaft haltbar sind. Ich würde jetzt hier an diesem Punkt schließen und mich freuen auf Fragen und Diskussionen. Vielen herzlichen Dank Soweit fürs Zuhören!