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Transkript: Lünenborg, Makhashvili und Medeiros - Journalismus herausgefordert

Transkript des Vortrags von Margreth Lünenborg, Débora Medeiros und Ana Makhashvili:

Journalismus herausgefordert. Konkurrierende Affektdramaturgien um #Chemnitz

Jan Slaby: Herzlich willkommen zu einer weiteren Online Vorlesung in unserer Reihe Mobility Affects. Mein Name ist Jan Slaby, gemeinsam mit Yvonne Albrecht und Serhat Karakayali vom Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung organisiere ich diese Veranstaltung. Heute haben wir ein besonders spannendes und auch sehr aktuelles Thema, nämlich einen Vortrag mit dem Titel "Journalismus herausgefordert: Konkurrierende Affektdramaturgien um #Chemnitz" von den Kommunikationswissenschaftlerinnen Margreth Lünenborg, Ana Makhashvili und Débora Medeiros. Das ist das Team des Teilprojekte B02 des Sonderforschungsbereichs Affective Societies. Das Projekt trägt den Titel "Journalismus und seine Ordnung der Emotionen", also ein Projekt von maximaler Aktualität und Relevanz. Ich stell jetzt meine drei hochgeschätzten Kolleginnen nacheinander kurz vor. Margreth Lünenborg ist seit 2009 Professorin für Journalistik am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der FU Berlin. Sie leitet das besagte Teilprojekt "Journalismus und seine Ordnung der Emotionen". Sie ist so richtig vom Fach, denn vor ihrer wissenschaftlichen Karriere hat Margreth Lünenborg ein Volontariat bei der guten alten Westdeutschen Allgemeinen Zeitung gemacht - Gibt's die eigentlich noch? - und hat dann als freie Journalistin gearbeitet unter anderem für den Sender Freies Berlin. Auch das ein klangvoller Name aus der Vergangenheit. Und ein wenig journalistischer Spirit kommt bei Margreth auch jetzt wieder durch, denn sie ist die Co-Moderatorin des neuen Podcasts "More Than a Feeling" an unserem Sonderforschungsbereich. Die ersten beiden Folgen sind online und ich hab den Link schon in den Chat geschrieben. Ich verweise noch schnell auf ein paar Publikationen von Margreth Lünenborg. Zusammen mit Tanja Maier hat sie die Sondernummer "The Turn to Affect and Emotion in Media Studies" in der Zeitschrift "Media and Communication" herausgegeben, 2018. Und eine Einführung hat sie geschrieben, auch zusammen mit Tanja Maier, "Gender Media Studies" und das ist so ein bisschen auch eine Kurzformel der Forschungsschwerpunkte von Margreth Lünenborg. Media Studies, Kommunikation und aber auch Gender-Themen und Feminismus. Und sie hat auch im vor kurzem ein Working Paper, und das ist auch eine weitere kleine Werbeaktion, ein Working Paper in unserer Working Paper Reihe am Sonderforschungsbereich publiziert. Das heißt "Soziale Medien, Emotionen und Affekte" und ist im Sommer erschienen. Den Link kann ich etwas später auch noch in den Chat setzen. Ana Makhashvili ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im besagten Teilprojekt B02. Sie hat von 2016 bis 2019 Medien und politische Kommunikation studiert, an der Freien Universität, dort den Master gemacht. Die Masterarbeit zu einem interessanten Thema "Narratives of International Crisis in 280 Characters - A Content Analysis of Russian and British Diplomatic Twitteraccounts following the Nowitschok Attack in Salisbury, UK". Forschungsschwerpunkte von Ana Makhashvili, rechtsradikale Öffentlichkeiten im Netz, Medien und Migration, sowie Krisenkommunikation, also auch das hochspannende aktuelle Themen. Und Dr. Débora Medeiros ist ebenfalls wissenschaftliche Mitarbeiterin in dem besagten Teilprojekt. Sie ist zugleich auch Vorstandsmitglied an unserem Sonderforschungsbereich und dort auch MitInitiatorin des brandneuen Nachwuchs-Netzwerkes "Affect and Colonialism". Débora hat promoviert auch am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der FU zum Thema "Engaged Journalism - Contesting Objectivity through Media Practice during the alternative Coverage of Brazils June Journeys", also die Massenproteste in 2013, der brasilianische Frühling, wie das hier manchmal verniedlichend benannt wird. Und sie hat verschiedene Aufsätze über Social Media, über Journalismus in Brasilien, über Climate Change in den Medien und andere spannende Themen verfasst. Und damit genug der Vorrede. Wir sind froh, dass das geklappt hat mit eurem Projekt hier in unserer Reihe. Vortragstitel "Journalismus herausgefordert - konkurrierende Affektdramaturgien um #Chemnitz". Willkommen, wir freuen uns auf euren Vortrag!


Margreth Lünenborg: Ja, ganz herzlichen Dank für die nette Vorstellung, all die Vorschusslorbeeren, wir geben unser Bestes, die auch einzulösen und wir machen das jetzt so richtig ordentlich mit einem Vortrag. Wir haben nämlich eine Powerpoint vorbereitet, die Ani jetzt hoffentlich mit euch allen teilen kann. Ja... geht los... Da seht ihr nochmal den Titel. Das hat Jan schon so weit anmoderiert, dass ich da gar nicht mehr zu sagen kann. Wir fokussieren uns heute eben auf ein Beispiel, das Ereignis um Chemnitz, da sage ich gleich noch was dazu. Pars pro toto, um ein bisschen deutlich zu machen, wie wir arbeiten, was unser Anliegen ist, wie wir da auch methodisch vorgehen. Vielleicht noch als eine Vorbemerkung nach dem Vortrag in der vergangenen Woche: Wir haben jedenfalls das Ansinnen und werden heute zeigen, wie wir das machen, qualitative und quantitative methodische Ansätze durchaus miteinander zu verbinden, also das nicht als konkurrierende und sich widerstreitende Zugänge zu betrachten, sondern wir glauben je nach dem, was wir an Material betrachten, können die einen oder anderen methodischen Zugänge ganz ertragreich sein. Also hier kurz die Gliederung. Ich gebe eine knappe Einführung, insbesondere zum theoretischen Hintergrund: Wie verstehen wir Journalismus im Verhältnis zu Emotionen und Affekten? Dann gehe ich noch knapp auf dieses Ereignis #Chemnitz und 2018 ein. Débora wird dann über Chemnitz in den Fernsehnachrichten sprechen, als eine tradierte journalistische Form. Und Ani geht dann deutlich detaillierter auf das Ringen um Deutungsmacht auf Twitter zu #Chemnitz ein. Diese beiden medialen Felder, wenn man so will, betrachten wir eben als durchaus konkurrierende, nicht nur konkurrierende Wissensgeneratoren, sondern eben auch konkurrierende Affektdramaturgien. Und in einem Fazit wollen wir das nochmal fokussieren, was das bedeutet. Welche Folgen das hat für öffentliche Kommunikation? Ich will, wie gesagt, knapp erläutern, was wir unter unserem großen Titel J"ournalismus in seiner Ordnung der Emotionen" verstehen, wie wir das jetzt auf unsern Gegenstand anwenden. Also in aller Kürze betrachten wir Journalismus in funktional ausdifferenzierten Gesellschaften als jenes System, das der Beobachtung und Synchronisation dient, das es uns überhaupt möglich macht, in Gesellschaft uns zu orientieren, zu wissen, was in anderen Teilbereichen von Gesellschaft stattfindet. Das ist in Teilen die normative Zuschreibung, aber in so einer systemtheoretischen Terminologie eben auch weit weg von Normativität. Die zugewiesene idealistische Anweisung an Journalismus, er soll uns alle in das Vermögen versetzen, kompetent als Bürgerinnen und Bürger agieren zu können in der Gesellschaft. Dazu hat Journalismus ganz spezifische eigenständigem Modi entwickelt. Form der distanzierten Beobachtung, Terminus der Objektivität. Ein ganz komplexer, viel diskutierter Begriff, aber damit stark gelabelt sind, den schon in den frühen Siebzigerjahren Gaye Tuchmann als eine Form des strategischen Rituals bezeichnet hat. Wo also deutlich wird: Von Objektivität sprechen wir in einem spezifischen Modus der Kommunikation, der eben spezifisch strategisches Interesse verfolgt. Und dieses Interesse lässt sich meines Erachtens sehr prägnant zuspitzen mit dem Begriff der journalistischen Autorität. Journalismus hat, so würde ich sagen, im 19. vor allen Dingen im 20. Jahrhundert eine immense Autorität gewonnen und inne gehabt. Nämlich relevante, valide Aussagen über Gesellschaft zu geben. Und diese Autorität hat er eben ganz maßgeblich durch spezifische Formen gewonnen. Die Nachricht ist da sicherlich ganz vorneweg zu nennen, aber auch die Form des Interviews ist als ein spezifisch journalistischer Kommunikationsmodus etabliert worden, dem dann eben bestimmte Ansprüche des Objektiven zugeschrieben worden. Am zugespitzt, wie gesagt, in der Nachricht. Uns interessiert nun, wie diesen Formen spezifischer Affektdramaturgien eingeschrieben sind, und zwar der Modus des Objektiven, des Distanzierten, des vermeintlich nicht-Emotionalen eben durch eine spezifische Regulation von Affekten erzeugt wird. Chris Anderson hat das, wie ich finde, auch die ganz hübsche Formel gebracht "The avoidance of passion is in itself a passionate endeavour". Also es wird eine Menge, ja affektive Energie investiert, um die Nachricht erscheinen zu lassen als eine nicht-emotionale Beschreibung von einem außer medialen Ereignis. In dieser Weise begreifen wir Journalismus als eine Institution, die für gesellschaftliche Affektregulation strukturell zuständig ist. Journalismus organisiert spezifische Formen von Affektregulierung. Die bewegen sich über weite Strecken in einem Rahmen von Normalisierung, Beruhigung, Dämpfung. Also die Autorität vermittelt uns "That's the way it is, don't worry". Aber Journalismus kennt sehr wohl auch Muster der Skandalisierung, die also eine Intensivierung von Affekten verwenden und diese selbst betreiben. In dieser Weise verweisen wir mit unserem Verständnis, ganz im Gegensatz zu diesem idealistischen Verständnis von Journalismus als objektiv und damit nicht emotional, verweisen wir ganz dezidiert darauf, dass Journalismus eigenständig Emotionen erzeugt, diese reguliert und kontrolliert und dabei eben in hohem Maße kontrolliert, wessen Emotionen, wann in welcher Weise sichtbar werden und wessen eben unsichtbar bleiben. Und genau das ist für uns hochinteressant bei der präziseren, systematischeren Auseinandersetzung mit Berichterstattung über Migration und Flucht, die im Kern empirisch unseres Forschungsprojektes steht und worauf wir hier heute exemplarisch eingehen wollen. -Danke, Ani!-


Margreth Lünenborg: Ganz knapp zum analytischem Hintergrund: Wenn ich schon darauf verwiesen habe, dass Journalismus im 19. und 20. Jahrhundert unzweifelhaft eine hohe Autorität hatte, also uns gesellschaftlich davon zu überzeugen, was wichtig ist und was eher nicht in die Tagesschau gehört, so können wir heute von einem beträchtlichen Autoritätsverlust von Journalismus ausgehen. Einem Autoritätsverlust als Institution in dem, was Chadwick "hybrid media systems" nennt, also eine hybride Struktur, bei der die tradierten "Legacy" Medien, die institutionalisierten Formen von Medien und von Journalismus eben gleichzeitig im Wettstreit stehen mit dem digitalen Netzwerkmedien, die nach ganz anderen Logiken Selektionsmustern, Aktivitätsdynamiken funktionieren. Dieser Verlust an Autorität geht auch einher mit einem spezifischen Regulationsverlust von Journalismus durch das, was wir Affective Media Practices nennen. Affective Media Practices als solche kann man sich liken, sharen, haten, posten vorstellen, also zum Teil ganz dezidiert affektive, "liken" ist eine Form einer positiven affektiven Zuwendung. Aber auch die schlichte Intensität eines häufigen Retweetens haben in der vernetzten Kommunikation der unterschiedlichen Beteiligten eine hohe affektive Dynamik. Journalismus ist also damit konfrontiert, dass nicht seine eigenen professionell validierten Selektions- und Priorisierungsmuster so 1:1 an Rezipienten weitergehen, sondern diese Nutzer machen das jetzt mal einfach selbst und sharen und teilen das, was sie besonders lustig, ängstigend, besorgniserregend oder absurd finden. Also konkurrierende Selektionsmmuster, die da aufeinandertreffen. Und in dieser Konkurrenz und Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Modi öffentlicher Kommunikation entsteht in besonderem Maße das, was Zizi Papacharissi als erste als "Affective Publics" bezeichnet hat, also Formen von Öffentlichkeit, die in einem ganz hohen Maße von affektiven Dynamiken strukturiert werden, in denen Informationen, Stimmungen, gefühlte Wahrnehmungen sozusagen untrennbar miteinander verwoben sind und sich wechselseitig konstituieren. Unser Interesse richtet sich damit auf die Dynamik zwischen einem Ereignis, einem gesellschaftlichen Ereignis, dem jeweiligen journalistischen Medientext, der sich mit diesem Ereignis beschäftigt, und den Artikulationen von Nutzerinnen und Nutzern, die eben in diesem Wechselverhältnis gesellschaftliche Diskurse co-konstituieren und affektiv modulieren. Also in der wechselseitigen Bezüglichkeit entsteht genau diese affektive Dynamik. Und damit ganz knapp die Forschungsfragen, die uns insgesamt umtreiben, aber auch die wir heute mit Blick auf diesen einen Case eingehen wollen, wir fragen danach, wie Journalismus in öffentlichen Diskursen zum Thema Migration und Flucht eine Ordnung von Emotionen herstellt und welcher affizierenden Register er sich dabei bedient. Diesen Begriff des affizierenden Registers, den haben wir in unserem ersten Projekt, in der ersten Phase, an ganz anderen Material im Reality-TV entwickelt. Débora wird später genauer darauf eingehen, was wir darunter verstehen. Wir fragen dann danach, wie Journalismus als Institution durch affektive Dynamiken in Social Media herausgefordert wird. Denn genau da liegt unser Interesse: die affektive Herausforderung von Journalismus als Institution. Und abschließend interessieren wir uns dafür, wie sich Öffentlichkeit in diesen konkurrierenden Affektdramaturgien formiert, konstituiert. Und damit jetzt ganz knapp. Nur nochmal vielleicht reaktualisieren, ich vermute, die meisten, wenn nicht alle, haben das noch im Sinn. Worum ging es in Chemnitz im Jahr 2018? Ende August hat es den tödlichen Angriff auf den deutsch kubanischen Chemnitzer Daniel H. am Rande eines Stadtfestes gegeben. Darauf reagierten rechte und rechtsextreme Gruppen und richtig stabile Organisationen mit Aufrufen zu Demonstrationen auf Grund des Flüchtlingsstatus der mutmaßlichen Täter. Im öffentlichen Raum, in der Stadt erfolgten dabei und da drumherum Angriffe auf Black People of Color in der Stadt. Der Hitlergruß wurde gezeigt, NS Parolen waren sichtbar. Es gab in Folge eine Debatte darum, ob das nun eine Hetzjagd war oder doch nicht. Wir werden davon ein bisschen gleich auch etwas sehen, die in der Folge erst zur Versetzung und leichten Beförderung, dann aber schließlich doch zum Ausschluss des Verfassungsschutzchefs geführt hat und zugleich sozusagen als affektive und politische Gegenreaktion, formierten sich auch Proteste unter dem Hashtag WirSindMehr, die dann auch in großen öffentlichen Auftritten im großen Konzert ihren Ausdruck fanden. Und damit leite ich über zu Débora, die nun auf die journalistisch fernseh-nachrichtlichen Bearbeitung des Falles eingehen wird.


Débora Medeiros: Danke, Margreth! Bevor wir uns das Video anschauen, würde ich gerne etwas zum Material insgesamt sagen und zu unserer Methoden. Und zwar in diesem Fall vom Projekt analysieren wir neun historische Ereignisse, die wir anhand von unterschiedlichen Kriterien ausgewählt haben. Darauf kann ich bei den Fragen vielleicht eingehen. Und dazu haben wir Videomaterial aus den Archiven von ARD und ZDF gesammelt innerhalb von einer Woche in der Berichterstattung über diese neuen Ereignisse. Und dieses Material sind sowohl Nachrichtensendungen als auch Reportagesendungen, also von Tagesschau bis zum Monitor oder Kontrast. Und was wir uns heute gemeinsam anschauen, ist ein Video vom 27. August 2018 im Rahmen von der Berichterstattung über die Chemnitz Ausschreitungen. Okay, es kann losgehen.


O-Ton: Die Ausschreitungen nach dem gewaltsamen Tod eines Mannes in Chemnitz sind von Bundes- und sächsischer Landesregierung scharf verurteilt worden. Stimmungsmache und Hetze von rechts würden nicht geduldet, hieß es. Hunderte waren gestern nach Aufrufen von AfD und anderen Gruppierungen im Netz durch Chemnitz gezogen und hatten auch Ausländer angegriffen. Als Tatverdächtige nach dem tödlichen Streit in der Nacht zuvor wurden heute ein Syrer und ein Iraker Untersuchungshaft genommen. Auch für heute hatten Rechte Gruppen mobilisiert. Es gibt aber auch Gegenproteste.


O-Ton: Auch heute wieder gibt es Demonstrationen im Chemnitzer Stadtzentrum. Rund 1000 Rechte sollen den Aufrufen in den sozialen Netzwerken gefolgt sein. Ihnen gegenüber stehen sollen 3000 linke Demonstranten. Die Polizei kann ein Aufeinanderprallen der Gruppen verhindern. Heute scheinen die Einsatzkräfte vorbereitet. Ganz anders die Situation Gestern, am Rande des Stadtfestes wird in den frühen Morgenstunden ein 35 jähriger Deutscher getötet. Zwei Männer aus Syrien und dem Irak sollen mit einem Messer auf ihn eingestochen haben. Zwei weitere Personen werden verletzt. Das Stadtfest wird daraufhin abgebrochen. Die Stadt hatte Sicherheitsbedenken. Denn im Netz hatten zunächst die AfD Chemnitz und dann auch rechte Gruppierungen zu Protesten aufgerufen. Am Nachmittag kamen daraufhin rund 800 Menschen zusammen. Die Stimmung war aufgeheizt. ["Das ist unser Land! Das ist unsere Stadt"]


O-Ton: Amateurvideos in den sozialen Netzwerken zeigen Übergriffe auf Menschen mit dunkler Hautfarbe. [wütende Stimmen] Die Gewaltbereitschaft etlicher Demonstranten hat die Bundesregierung heute scharf kritisiert.


O-Ton: Gegen solche Zusammenrottungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens, anderer Herkunft oder der Versuch, Hass auf den Straßen zu verbreiten, das nehmen wir nicht hin. Das hat bei uns in unseren Städten keinen Platz. Und das kann ich für die Bundesregierung sagen, dass wir das auf das Schärfste verurteilen.


Débora Medeiros: Okay, und genau wie Margaret schon erwähnt hat, arbeiten wir mit dem Konzept von affizierenden Registern als Schwerpunkt unserer Videoanalyse. Und das Konzept wurde in der ersten Laufzeit anhand von ganz anderem Videomaterial zu Reality TV entwickelt. Aber ich glaube, es wird sehr spannend sein, das auf das journalistische Material anzuwenden. Es beschreibt, wie formal ästhetische und inhaltlich narrative Darstellungsmittel darauf abzielen und ich zitiere jetzt, "Zuschauer:innen sinnlich-leiblich zu affizieren und Verbundenheitsgefühle hervorzurufen". Also das Konzept von affizierenden Registern macht deutlich, wie die Relationalität zwischen Körpern, die gezeigt werden, auch Inklusions- und Exklusionsprozesse erzeugen. Und in der konkreten Analyse gibt es zwei analytische Ebenen, die eine ist der Körper, also man analysiert, wie Körper in ihrer Mimik, ihrer Gestik, ihre Vokalisierungen dargestellt werden. Dann gibt es die analytische Ebene von Praktiken, und das sind sowohl die Praktiken, die in der Interaktion zwischen Körpern und Körpern und Objekten entstehen, aber auch die journalistischen Praktiken in unseren spezifischen Fall. Und dazu haben wir auch die Ebene des Diskurses, wo vor allem auf sprachliche Praktiken der Benennung, der Bewertung, aber auch des Schweigens von Emotionen hingeschaut wird. Und ich würde anhand von dem Video, das wir gesehen haben, beschreiben, wie wir dann analytisch vorgehen werde nach diese drei Ebenen. Zuerst auf der Ebene der Körper fällt auf, dass oft sowohl Gegendemonstrierende als auch rechte Demonstrierende, die werden als Masse dargestellt und auch durch diese räumliche Trennung von der Straße, von der Polizei, hier in dem ersten Bild, das wir sehen, wird quasi über die Schulter von einem Gegendemonstranten gefilmt, was auf bestimmte Bedingungen vor Ort in der Interaktion vor allem mit den rechten Demonstrierenden für Medienschaffende hinweist. indirekt. Dann haben wir bei dem dritten, bei dem zweiten Bild, Entschuldigung, ein sehr interessantes Phänomen. Es fiel mir auch auf in der Analyse, dass die rechten Demonstrierenden, wenn nur sie gezeigt werden, werden sie oft von oben quasi gefilmt. Auch bei diesem anderen Take in dem Beitrag, wo Leute entlang der Straße laufen, sie werden auch von oben herab gefilmt und das erzeugt eine gewisse Distanzierung, auch emotional. Das Frame von dem Bild, was wir hier sehen, das wurde aufgenommen in einem von den angespanntesten Momenten in dem Beitrag, wo diese Protestierenden "Das ist unser Land, das ist unsere Stadt" skandieren. Aber durch diese gewisse Distanzierung, sie wirken ein bisschen klein und weit weg. Das ist so eine wie... das trägt dazu bei, dass man vielleicht die Spannung weniger spürt als wären die Aufnahmen mitten drin in dieser Menschenmenge gemacht worden. Dann hier als drittes Bild fällt auf, dass politische Akteure wie Steffen Seibert, der Regierungssprecher hier, die werden als einzelne Körper wiederum gezeigt in Kontrast zu diesen Demonstrierenden. Und der andere einzelne Körper, der gezeigt wird, ist der von der Moderatorin ganz am Anfang von dem Beitrag. Sie wird einzeln dargestellt und wir haben noch dazu, sagen wir, der körperlose Stil von der Reporterin, die diesen ganzen Bildern eine narrative Rahmung aus dem Off aufgibt. Und dadurch durch diese zwei Elemente sieht man schon, wie die journalistische Einordnung auch körperlich markiert wird in dem Beitrag. Auf der Ebene der Praktiken haben wir wieder klassische journalistische Praktiken wie die Rekonstruktion von den Tathergang des Angriffs auf Daniel H.. Da werden so abstraktere Bilder als Ersatz benutzt, weil es keine Bilder natürlich von den Auseinandersetzungen gibt. Aber dann sieht man dieses leeres Stadtfest, das ein bisschen gespenstisch wirkt und die Spuren auf dem Boden, die auf die Gewalt, die stattgefunden hat, hinweisen. Aber das wird nicht direkt gezeigt. Das führt dazu, dass die Affizierung eine ganz andere ist, als wenn man die Aufnahmen sehen würde. Oder wie früher in einigen Sendungen wurde so ein Angriff auch von Schauspielenden gespielt und gezeigt; das wäre es schon eine andere Darstellungsweise. Heutzutage macht man das nicht mehr so oft zumindest. Dann kontrastierend dazu haben wir die Aufnahmen aus dem Netz, wie sie genannt werden. Insbesondere dieses berühmte Video von "Antifa Zeckenbiss", wo tatsächlich das Konzept von unserer Kollegin Kerstin Schankweiler sehr sichtbar wird, von Affective Witnessing, in denen man diese Bilder, die sehr nah dran aufgenommen wurden, mittendrin in diesem Geschehen, man hört die Stimmen von dieser Auseinandersetzung. Man wird quasi zur Co-Witness gemacht. Also man hat auch eine bestimmte Erfahrung der Ko-Zeugenschaft, indem man diese Bilder sieht und wird auch sehr anders affiziert, als von den etwas abstrakteren Bildern vom Stadtfest z.B.. Ja, da können wir weiter. Auf der Ebene des Diskurses würde ich gerne einige Sätze hervorheben, die im Beitrag aufgefallen sind: Beim ersten Satz, und ich lese vor: "Stimmungsmache und Hetze von rechts würden nicht geduldet, hieß es". Das sagt die Moderatorin, indem sie indirekt den Regierungssprecher Seibert zitiert. Das ist eine klassische journalistische Zitationsweise, in der man diese scharfe Verurteilung erwähnt, aber ganz deutlich macht, dass das nicht von der Journalistin selbst kommt oder von der Tagesschau Almer in der Lingener gemeint kommt von der Redaktion. Dann gibt's da eine sehr deutliche diskursive Einordnung von wem sind die Demonstranten und wie kamen sie zusammen, indem auf die Mobilisierung online hingewiesen wird. Und sie werden als Rechte kontinuierlich benannt, auch wie in diesem zweiten Satz: "Rund tausend Rechte sollen den Aufrufen in den sozialen Netzwerken gefolgt sein", wie die Beitragsreporterin sagt am Anfang vom Beitrag. Auf der Ebene der Repräsentation, was auch eine analytische Punkt ist, wenn man Videoanalyse macht, fällt auf, dass oft gesagt wird, dass es Angriffe auf Ausländer gab oder Übergriffe auf Menschen mit dunkler Hautfarbe. Aber diese Menschen werden kaum gezeigt, außer bei dieser Videoaufnahme von der Hetzjagd, sagen wir mal so, wo die Menschen, die angegriffen sind, kurz zu sehen sind, ist es so, dass sie nicht gezeigt werden. Also bei dem Beitrag werden kaum Leute interviewt oder direkt zitiert als Soundbites, sagen wir mal so, aber sie werden gezeigt, die Demonstrierenden, die unterschiedlichen Akteure. Die Menschen, die diesen Angriffen zum Ziel werden, die sind praktisch unsichtbar, auch in ihrer Körperlichkeit und so weiter. Ja, ich glaube, es ist ein bisschen zu früh um zu sagen, was für ein affizierendes Register jetzt herauskommt. Ich muss weiter mit dem Material arbeiten, aber man konnte schon sagen, das ist eine etwas gedämpftes affizierendes Register ist, um bei der Metapher von Musik zu bleiben, wie Claudia Töpper vorgeschlagen hatte, weil sie dieses Konzept so genannt hat. Da sieht man es schon, das ist ein Versuch von Distanzierung von dem Geschehen, diese Spannung, die in der Luft vielleicht lag damals, ein bisschen rauszunehmen oder fern zu halten von dem Beitrag wie Margreth das am Anfang erwähnt hat. Das passt sehr gut zu der Literatur über Journalismus, wo jetzt wirklich so versucht wird, eine Beruhigung, eine Versachlichung von der von der Diskussion oder von der Situation zu erzeugen. Aber das werden wir sehen, wie der Rest des Materials zeigt, was für affektive Register da vorliegen. Und jetzt wird einen ganz interessanten Kontrast bei dem Material für Ana Makhashvili geben, die nämlich auf Twitter geforscht hat.


Ana Makhashvili: Ja, danke Débora, kann man mich gut hören? Ja gut. Super. Genau. Also neben der Fernsehberichterstattung haben mwir auch Diskurse auf Twitter untersucht und da dann genauer geguckt, wie journalistische Berichterstattung auf Twitter herausgefordert wurde durch unterschiedliche Akteur:innen. Dabei haben wir 10000 Tweets analysiert von insgesamt etwa 650000 Tweets, die in der ersten Woche nach dem Tod von Daniel H. gepostet wurden auf Twitter. Hier unten seht ihr noch die Verteilung von Tweets und Retweets und Replies in unserem Datensatz. Also man sieht, dass es sich hauptsächlich Retweets gehandelt hat in unserem Datensatz. Genau. Twitter finden wir auch deshalb wichtig, weil wir das als eine Plattform begreifen, die auch Raum bietet für konkurrierende und unterschiedliche Affektdramaturgien. Und weil es prinzipiell für jeden zugänglich ist und weil es auch gewisse affektive Medienpraktiken, die Margreth vorher thematisiert hat, fördert. Und diese werden wir uns heute auch anschauen. Wir haben unterschiedliche Methoden angewendet. Zunächst haben wir eine Netzwerkanalyse durchgeführt. Für diejenigen, die nicht so vertraut sind mit der Methode, werde ich das noch bei der nächsten Folie kurz erklären, was man mit dieser Methode genau machen kann. Aber erst einmal die Fragen, die unsere Netzwerkanalyse begleitet haben. Hauptsächlich wollten wir hier uns erst einmal anschauen, welche Akteur:innen überhaupt einflussreiche Positionen in unserem Datensatz einnehmen. Welche Communities sich da identifizieren lassen, und wie kann man diese beschreiben und unterscheiden. Und dabei haben wir immer besonderen Fokus auf die Rolle und auf die Positionierung von etablierten Medien auch im Gegensatz zu rechtsradikalen Medien angeschaut. Genau hier sieht man jetzt das Netzwerk. Dazu einige Sachen. Also als erstes sieht es trotzdem relativ unübersichtlich aus, obwohl das hier schon nach einigen Visualisierungsstrategien so aussieht. Das liegt daran, dass in unserem Datensatz etwa 8000 Accounts repräsentiert waren. Und jetzt zu der Methode: Netzwerkanalyse ist eine Methode, die Verbindungen zwischen sozialen Akteur:innen zunächst visualisiert. Und dann gibt es noch einige Werte und Algorithmen, die man anwenden kann, und einige Sachen, die man messen kann, auf die wir auch nochmal zurückkommen. Jetzt zur Visualisierung. Also die Knoten zeigen einzelne Accounts und die Kanten zwischen den Knoten repräsentieren Verbindungen zwischen diesen, sprich Retweets in Form von Retweets, Replies oder Tags, also Markierungen. Das heißt, wenn ein Account einen anderen in einen Tweet erwähnt, entsteht eine Kante zwischen den beiden Knoten. Genau. Also man sieht, dass manche Knoten etwas größer sind als die anderen. Und das liegt einfach daran, dass ein Zentralitätsmaß berechnet wurde für jeden Account, das heißt die Summe von ein- und ausgehenden Verbindungen. Also wie oft man andere markiert und wie oft man selbst markiert wird. Und die Accounts, die die meisten Verbindungen haben zu anderen Accounts, werden größer dargestellt, als diejenigen, die weniger gut connected sind, sozusagen. Genau. Also zu den Communities: Hier sieht man das schon, dass es mehrere, tatsächlich hunderte kleinere Communities in unserem Netzwerk identifiziert wurden. Und dennoch werden oder lassen sich zwei etwas größere Sub-Netzwerke aggregieren und die sieht man hier auch ganz gut. Da werden wir auch ein bisschen näher drauf schauen. Aber wenn man sich das genauer anguckt, kann man schon sagen, dass auf der einen Seite, in dem einen Sub-Netzwerk quasi viele rechtsradikale Akteur:innen, darunter auch rechtsradikale Medien repräsentiert sind. Und in dem anderen Netzwerk sind es unter anderem Accounts von etablierten Institutionen, auch von journalistischen Medien, aber auch von der Polizei sieht man das ganz groß. Polizei Sachsen, die haben viele Updates gepostet und die wurden auch öfters geteilt. Genau, dann haben wir auch unterschiedliche Kategorien eingeführt, wie wir Medienakteur:innen kategorisieren. Seht ihr hier, also es wird einerseits auf organisationellen Ebene und andererseits auf individueller Ebene differenziert, weil es eben auch individuelle journalistische Akteur:innen gibt, die als Privatperson twittern. Diese Tabelle zeigt erst einmal nur, wieviele z.B. etablierte journalistische Medien, Medienaccounts überhaupt in unserem Datensatz auftauchen, also von diesen ungefähr 8000 Accounts, die in unserem Datensatz repräsentiert sind, sind das dreiundvierzig Accounts, die etablierten Medien gehören. Und das ist hier ein relativ kleiner Anteil. Aber wie gesagt, Twitter ist prinzipiell für jeden zugänglich und dadurch kommen natürlich sehr viele unterschiedliche Akteur:innen zu Wort. Ja, jetzt sehen wir von einem Sub-Netzwerk sozusagen ein bisschen mehr. Schauen wir uns das an. Und hier sieht man das, hellgrün sind etablierte Medien und Medienangebote. Da sind auch unterschiedliche Ressorts und Rubriken und Sendungen mit dabei. Also z.B. von der heute show wurden halt Tweets relativ oft geteilt oder von der Tagesschau. Tagesschau wurde auch relativ oft markiert. Diese Verbindungen sagen aber erst nichts über die Art von der Verbindung aus bzw. über den Inhalt von der Referenzierung von diesen Accounts. Darauf werden wir erst später kommen. Orange sind individuelle journalistische Akteur:innen eingefärbt. Und hier sieht man relativ groß Felix Huesmann, Matthias Meisner z.B. sind freie Reporter, die auch für etablierte Medien schreiben, aber die waren auch alleine in Chemnitz unterwegs und haben alles gefilmt und haben oft Updates gepostet und auch Videos gepostet, Videoreportagen gepostet aus Chemnitz und haben live berichtet über die Ereignisse. Auf der anderen Seite sehen wir jetzt, also hier sind pink rechtsradikale Medien eingefärbt und da sieht man, dass sie zwar nicht durch viele Verbindungen ausgezeichnet sind, deshalb sind sie auch so relativ klein. Aber es sind schon einige und die sind schon dicht in diesem Netzwerk eingebunden, sozusagen. Hellblau, sieht man auch individuelle rechtsradik, journalistische Akteur:innen und was man noch dazu sagen sollte, warum rechtsradikale Medien relativ klein sind, liegt halt auch mehr oder weniger daran, dass es in diesem Netzwerk- dass rechtsradikale Öffentlichkeiten in unserem Datensatz nicht nur von den Medien, sondern auch von vielen Social Media Akteuren und Akteurinnen mobilisiert werden. Und das werden wir jetzt auch gleich sehen.


Ana Makhashvili: Also hier haben wir erst einmal die 20 Accounts, die die meisten ein- und ausgehenden Verbindungen haben, zu anderen Accounts. Und hier schauen wir uns an, was es für Akteur:innen überhaupt gibt, die diese wichtige Positionen in unserem Netzwerk einnehmen. Und das sind zwar einerseits auch etablierte Medien, aber da sind jetzt in diesen Top 20 nur Tagesschau und heute Show schon repräsentiert und dazu noch ein paar journalistische Akteur:innen. Aber wir haben auch rechtsradikale politische Akteur:innen, AfD z.B. und AfD-Mitglieder Alice Weidel und Malte Kaufmann. Und dazu haben wir noch, was wir Pseudonym-Accounts nennen. Diese sind also die meisten von von diesen sind auch nicht mehr aufzufinden. Deshalb kann man auch nicht genau feststellen, ob es sich dabei um Bots handelt. Anhand unserer Inhaltsanalyse kann ich mit relativer Sicherheit sagen, dass es schon keine Bots waren. Deshalb bevorzuge ich auch das Wort Pseudonym-Accounts. Aber dennoch hat man eine personenbezogene Information. Es ist auch kein persönlicher Account, sondern es wird zu einem gewissen Thema sehr viel Information geteilt bzw. viel eigene Interpretation geteilt. Und hier wurden auch sehr viele rechtsradikale Inhalte geteilt und viel mobilisiert. Kurzes Zwischenfazit zu unserem Netzwerk: Da muss man sagen, zwar wurden viele kleinere Communities identifiziert, aber trotzdem lässt sich eine Polarisierung kennzeichnen. Dadurch, dass es diese zwei relativ größeren Netzwerke sind, die in sich geschlossen sind und zu dem anderen Netzwerk relativ schwache und wenige Verbindungen haben. Außerdem scheint es, dass Journalismus und journalistische Autorität nicht unangefochten ist, weil es eben sehr viele unterschiedliche Akteursgruppen sind, die wenn auch kleinere Öffentlichkeiten mobilisieren. Genau. Und jetzt gehen wir noch zur qualitativen Analyse und wie wir affektive Dynamiken von diesen Inhalten analysiert haben. Und der Fokus liegt hier auf der Frage, wie etablierte Medien affektiv herausgefordert werden und wie Emotionen zur Delegitimierung von journalistischer Berichterstattung beitragen und welche affektiven Dynamiken und Dynamiken dabei entstehen.


Ana Makhashvili: Ich fange an mit Emotions-Artikulationen und -zuschreibungen und ich werde jetzt nicht alle Ergebnisse darstellen können, aber eher dominante Strategien und Erzählungesformen nachzeichnen und die Verbreitung von Angst und Unruhe durch Verschwörungen ist eine der dominanten Strategien. Hier sehen wir zwei Tweets, zwei Beispieltweets. Auf der linken Seite sieht man einen Tweet zu dieser sogenannten Hetzjagd-Debatte, die Margreth auch am Anfang erwähnt hat. Und ich will hier aufmerksam machen auf gewisse affektgeladene Wörter wie z. B. "totgeschwiegen" oder "verschweigen", "unter den Teppich kehren". Dadurch wird unterstellt und auch vermittelt, dass Journalist:innen und Medien, in diesem Fall ZDF, absichtlich und explizit Hintergründe des Mordes von Daniel H. und von den Chemnitzer Ereignissen insgesamt, dass sie das absichtlich geheimhalten und vor dem Publikum verschweigen. Andererseits auch der zweite Tweet sehen wir auch noch, dass nicht nur Misstrauen gegenüber Medien, sondern auch gegenüber Social Media-Plattformen kommuniziert wird, was nochmal den Eindruck erwecken soll, dass es keinen Raum mehr für Rede- und Meinungsfreiheit gibt und dadurch wird eben diese Unruhe verbreitet. Aber auch wenn man auf die Form guckt, diese Aufzählung und auch die Screenshots sollen zudem noch den Eindruck erwecken, als wären das die Beweise. Also es sollen schon auch sachliche Praktiken imitiert werden. Ich glaube, das war's zu diesen beiden Beispielen. Dann gibt es auch viele explizite Äußerungen von Hass und Verachtung, die an etablierte Medien gerichtet sind. Und hier sieht man auch nochmal einen Screenshot, was als Beweis dienen soll für den Inhalt, was in dem Tweet geäußert wird. Aber auch will ich hier insbesondere auf die Intensität der Emotionen hinweisen. Also an dem einen Tweet sieht man, wer das so formuliert, dass es verächtlicher als die Tat selbst hat. Die journalistische Berichterstattung ist "verächtlicher als der Mord" und in de, anderen "es fehlem einem die Worte, den Abscheu auszudrücken" gegenüber den Medien. Das ist kennzeichnend für affektive Kommunikation und auch für Kommunikation auf Twitter. Diese Intensität, also dass nicht nur gehasst oder verachtet wird, sondern dass auch intensiv gehasst wird, diese Intensität ist das, was ganz besonders ist bei dieser Art des Lesens, die wir anwenden bei diesen Tweets, damit wir nach Affekten untersuchen. Genau. Und als letztes bei den Emotionen will ich darauf hinweisen, dass auf Twitter und ich würd sagen auf Social Media-Plattformen generell Emotionen auch sehr umkämpft sind. Wir begegnen ganz unterschiedlichen Legitimationsstrategien und es wird darüber viel gestritten, wer was fühlen darf, wer was empfinden darf, was legitimiert ist und welche Emotionen für wen nicht legitim sind. Und hier sind zwei Beispiele: Auf der einen Seite sieht man ein rechtsradikales Pseudonym-Account "hartes Geld", was dem Spiegel oder Spiegel Online vorwirft bzw. kritisiert, weil sie die Protestierenden in Chemnitz oder die Teilnehmer:innen der Demos in Chemnitz als Rechte bezeichnen, und hingegen wird auch eine andere Interpretation angeboten, quasi die Teilnehmer:innen der Proteste als "normal" bezeichnnd. Und auf der anderen Seite sehen wir einen Account von der Antifa, die Bild dafür anprangert, dass sie eben dieselben Leute, die Teilnehmer:innen der Proteste in Chemnitz als wütende Protestler bezeichnet. Und hier wird Wut oder das Recht auf Wut den Protestler:innen abgesprochen. Einerseits und andererseits wird das auch delegitimiert. Wütend, diese Interpretation von Bild wird halt delegitimiert. Bei vielen Emotionen konnten wir das beobachten, dass sie sehr unterschiedlich gedeutet werden und sehr unterschiedlich auch legitimiert oder delegitimiert werden. Bei Wut und Ärger ist es besonders aufgefallen. Auch zum Begriff der Wutbürger und Wutbürgerinnen wurde viel darüber gestritten, wer diesen Begriff verwenden darf und wer auch Recht auf diese Emotion hat, überhaupt.


Ana Makhashvili: Genau. Als nächstes gehen wir sprachliche Mittel ein, die dazu eingesetzt werden, gewisse Emotionen zu artikulieren und zu vermitteln, aber auch zu affizieren. Und hier haben wir auch wieder drei Strategien hervorgehoben. Wir haben ja hier die Strategien hervorgehoben, die insbesondere in Bezug auf Medien verwendet werden. Und hier ist eine sehr dominante Strategie uns aufgefallen und das war die Verwendung von abwertenden Labels, die gewisse Inhalte vermitteln, ohne diese explizit zu benennen. Zum Beispiel die Benennung "Staatsfunk" allein vermittelt schon diese Verschwörung, dass die etablierten Medien vom Staat kontrolliert werden, ohne das noch erläutern zu müssen. Manche dieser Begriffe vermitteln auch Verachtung. Also das sind Begriffe, die häufig auch mit Hashtag einfach benutzt werden und auch bei ironischen oder sarkastischen Tweets einfach am Ende so #Fake News oder so gesetzt wird. Und dann weiß man schon eigentlich gegeben, zu welchem Diskurs das gehört, und kann man das so einordnen. Genau als nächstes gehe ich auf Affizierung durch Emojis ein. Und hier, also es wurden tatsächlich auch viele Emojis verwendet. In einem ersten Tweet sieht man, wie Emojis für performatives Trauern auch eingesetzt werden von rechtsradikalen Accounts, ganz oft mit Kerzen z.B. und diese traurigen Emojis und das auch so gegenübergestellt wird mit der als distanziert wahrgenommenen Berichterstattung von journalistischen Medien. Andererseits werden auch häufig Symbole und Emojis verwendet, die auf die Aufdringlichkeit und auch auf die Ernsthaftigkeit von der Situation hinweisen wollen. Und wie man in einem zweiten Tweet sieht z.B. auch in Verbindung mit ganz emotionsgeladenen Worten wie Kampf oder Krieg oder Bürgerkrieg, glaube ich auch irgendwo. Genau diese Emojis werden auch häufig verwendet. Und als letztes wollte ich noch auf dieses Messer Emoji eingehen, weil das mir auch aufgefallen ist in unserem Datensatz, dass dieses Emoji in Verbindung gebracht wird mit Migrantinnen und Migranten, bzw. hier also mit der Konstruktion von Migrant:innen als Kriminellen und mit der Konstruktion vom Messer als Weapon of Choice von Migrant:innen. Und in diesem Tweet wird das auch explizit benannt: "Migrantengruppe sticht Deutschen ab", aber häufig wird einfach nur dieses Emoji verwendet und das entsteht dann im Kopf von den Leuten, die da diese Tweets lesen, entsteht schon die Verbindung zwischen dem Messer und der konstruierten Migrantengruppe sozusagen. Als letztes fähig noch auch die Verwendung von Ironie und Sarkasmus eingehen. Es gibt tatsächlich auch schon inzwischen einige Studien dazu, wie insbesondere rechte und rechtsradikale Politiker:innen Ironie und Sarkasmus dafür verwenden, eine Distanz zu dem Inhalt eigener Aussagen zu schaffen, aber dennoch islamophobe oder rechtsradikale nationalistische Inhalte zu verbreiten und dadurch auch Publikum zu mobilisieren oder auch zu affizieren. Aber es entsteht kein Wahrheitsanspruch, deswegen kann man das auch immer rechtfertigen und man ist seit halt dem Wahrheits Objective oder Sincerity Obejctive nicht verpflichtet. Aber trotzdem verbreitet man eben gewisse Inhalte, die man sonst in einer anderen Form schwierig äußern könnte. Genau hier sieht man jetzt zwei Beispiele, die eben die Verwendung von Ironie und Sarkasmus in Bezug auf Medien nochmal aufzeigen. Hier auf der linken Seite sieht man auch besonders den Kontrast zwischen einer ironischen Aussage und unten ein ganz dramatisches Bild wie Medien als Militär auf Wahrheit schießen. Also es ist schon eine sehr ernste Aussage, dennnoch wird durch die Verwendung von Ironie trotzdem noch eine Distanz geschaffen zu dem, was man tatsächlich äußert. Genau das ist in dem zweiten Beispiel auch ähnlich passiert. Und diese Screenshots in dem zweiten Beispiel, da will ich auch nochmal drauf hinweisen, wie durch Screenshots nochmal gezeigt werden soll oder diese eingesetzt werden sollen als wären das Beweise für das, was man in einem Tweet geäußert hat. Genau das sind dominante Strategien, die wir bisher erkannt haben in unserem Datensatz und jetzt gebe ich noch das Wort an Margreth zum Schluss.


Margreth Lünenborg: Ja, wir versuchen das knapp jetzt zusammen zu sammeln. Was sehen wir in diesem unterschiedlichen Material? Also ich würde sagen, Journalismus versucht, seine diskursive Autorität aufrechtzuerhalten durch Muster, die er etabliert hat, die Distanz und eher affektive Dämpfung erzeugen: die blaue Wand, die einzelne herausgestellte Figur, die Autorität des Sprechens über das Ereignis, diese genaue Form der Ruhe, der Dämpfung, Versuch, Journalismus als etabliertes Muster noch fortzuschreiben. Dabei greift er durchaus auf Formen von affective witnessing zurück, aber macht sie dabei als eben distink, als anders gegenüber der eigenen Darstellungslogik sichtbar. Da können wir vielerlei visuell ästhetische Elemente sehen, womit diese Distanz deutlich gemacht wird. Zugleich ist es aber eben genau dieses Muster der Autorität durch affektive Distanz, das in den Fokus rückt im Kampf um Deutungshoheit von Journalismus durch Social Media. Also diese vielfältigen Screenshots, die Ani gezeigt hat, die genau diesen Modus des Zeigens zum Gegenstand der Empörung, der Herabwürdigung, der Beschimpfung werden lassen. Das heißt, die affektive Intensität des Deutungskampfes in Social Media affiziert dabei aber offensichtlich eben auch Nutzer und Nutzerinnen und birgt damit ein erhebliches Potenzial zur Mobilisierung. Auf Twitter haben wir ganz klar sehen können, dass etablierte Medien dort nur ein schmales Segment der kommunikativen Akteure im gesamten Ensemble sind. Und Twitter gilt in Deutschland nach wie vor als ein - wir glauben es kaum mit dem Material - aber durchaus als ein Elite Medium, das in akademischen Kreisen und journalistischen Kreisen sehr weit verbreitet ist. In politischen Kreisen auch noch, aber eben kein everyday medium, wie es Facebook ist. Gleichwohl, in diesen Arenen spielt Journalismus allenfalls eine Rolle im Ensemble, diverse andere Akteure mit ganz offenkundig antagonistischen Kräften, die da als affektive Kräfte wirksam werden. Das ist es von unserer Seite. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


Jan Slaby: Bravo! Ja, vielen Dank! Das war super interessant und super spannend und unheimlich reich an Aspekten, eine fundierte empirische theoretische Übung und ein Thema, das uns glaub ich alle nicht kalt lassen kann. Insofern gehe ich mal schwer davon aus, dass es einige Fragen und Kommentare gibt. Wir machen es wie immer: die Meldung bitte über den Chat, die Chatfunktion bei Webex einfach vielleicht ein "M" reinschreiben für "Meldung". Dann gibt's eine automatische Frageliste. Wenn sich in den nächsten 15 Sekunden niemand meldet, fange ich an. Ich weiß nicht, ob das den Vortragenden so gefällt. Da kommen die Meldungen. Da prasseln sie einfach nur so auf uns zu. Also wenn jetzt Franziska das nicht als Wortmeldung verstanden wissen will, dann wäre Josefine laut Chat dran. Bitteschön, einfach unmuten und sprechen.


Franziska: So, jetzt klappt's? Ja. Okay. Ja. Vielen Dank für die Vorträge. Es war sehr interessant. Ich habe eine kurze Beobachtung und eine kurze Frage an Débora. Good to see you, by the way. Zu den TV Beiträgen. Du hattest es ja ganz kurz erwähnt, dass dieses Filmen von oben von den Massen, dass es diesen Effekt hat, eben diese These: "Wir sind distanziert" und die Massenbeobachtung. Ich hab mich bloß ganz konkret gefragt, ob das z.B. einen Effekt von Sicherheitsbedenken ist, dass die Journalisten in diesem konkreten Fall nicht in die Masse gehen. Dann sieht man ja auch an anderen Demonstrationen, einfach weil es für sie zu gefährlich ist. Und dass das vielleicht so, ganz konkret, in dem Beispiel so einer der Gründe ist, weshalb es gemacht wird. Unabhängig davon, welchen Effekt das dann vielleicht auch hat, aber eben auch die technischen Hintergründe da irgendwie zu beleuchten. Und ich fand es auf der diskursiven eben auch ganz spannend, also wie die Sprache ja verwendet wurde, also dieses über Ausländer zu sprechen, über das, was Seibert gesagt hat, "die, die anders aussehen", anders als wer denn? Also auch dieses "Ausländer" ist in Deutschland nur durch die Staatsbürgerschaft rechtlich definiert. Woher wussten die, wer da jetzt Ausländer war und wer da anders außerhalb... Also was ist die die Vergleichsebene? Und auch die Formulierung "Die AfD hat sich gemeldet, danach noch rechte Gruppen". Ok. Also all diese Dinge, wo immer so was ist, was ist die Vergleichseben, was ist die die Grundbasis? Das fand ich schon ganz spannend. Also dafür, dass das halt die Tagesschau ist. Also genau das von mir. Dankeschön.


Débora Medeiros: Danke, das ist immer sehr schön, deine Kommentare zu bekommen für die Arbeit. Ich war bei dieser Ästhetik, ich glaube, es ist vielleicht ein Freudscher Versprecher, sehr interessant, dass du das erwähnst. Das war mir ja nicht so deutlich bei dem Diskurs. Aber ja, auf jeden Fall. Das kann schon dafür zeugen, dass es eine bestimmte Normalisierung von der AfD in der Berichterstattung stattfindet. Das ist nicht mehr so als rechtsextremer Akteure erfasst wird. Sie merken das vielleicht nicht einmal, aber es scheint so zu sein vielleicht. Zu der ersten Frage, und dann gehe ich zurück zu den Ausländer-Bezeichnungen. Ja, das könnte tatsächlich sein. Ich glaube, ein Blick in das Material wird's zeigen, wie das besprochen wird. So quasi dieser Sicherheitsaspekt. Man weiß schon von damals, dass Medienschaffende angegriffen wurden auf dieser Demo und auch auf Pegida-Demos und ähnliche rechtsextreme Demos bei den Corona-Leugnern und so weiter. Aber sie sind trotzdem, bei dieser Aufnahme für die Leute was skandieren, ist die Kamera relativ nah dran, deswegen würde ich eher bezweifeln, ob es wirklich nur Sicherheitsbedenken ist oder vielleicht eine gesamte Aufnahme versucht wurde dadurch. Und diese Distanzierung entsteht als Kollateralschaden auf eine Weise. Aber ja, das ist auf jeden Fall ein sehr wichtiger Aspekt. Was für eine Rolle spielen Sicherheitsbedenken bei der Aufnahme von Demonstrationen? Und vielleicht kann es auch darauf zurückzuführen sein, dass es diese Aufnahmen dann von oben herab entstehen? Und zu den Ausländer-Bezeichnung: Du hast vollkommen recht, das zeugt halt davon, ja, dass es immer noch nicht so über diese Repräsentation im Journalismus Best Practices gibt, vielleicht. Das finde ich interessant, dass tatsächlich die Leute immer noch diesen Othering Prozesse erleben, Menschen mit Migrationshintergrund, wenn über sie gesprochen wird. Tatsächlich kann man ja nicht wissen, woher die Leute kommen, also nicht Deutsche sind mit Migrationshintergrund. Vielen Dank für die Frage.


Jan Slaby: Nächste Frage von Susanne Foellmer.


Susanne Foellmer: Ja, vielen, vielen Dank! Also vielen Dank für diesen spannenden Einblick in die Arbeit. Ich sage kurz, woher ich komme, damit man auch versteht, wo die Frage herkommt. Ich bin Tanzwissenschaftlerin und Theaterwissenschaftlerin und habe aber auch mit Margreth schon zusammenarbeiten dürfen im Rahmen von sozialen Bewegungen, Protesten und Medienpraktiken. Mich würden zwei Sachen interessieren, weil ich eben diese Verbindung von quantitativer und qualitativer Analyse hoch spannend finde. Und auf der Ebene der qualitativen Analyse und der Analyse der Fernsehbilder, ich glaube, das war Débora, da würde mich sehr interessieren bei dem Aspekt Körper, da hab ich mich gefragt, ist das nicht eigentlich eher auch das Level von Raum, das hier befragt werden sollte? Also eigentlich mit der Vogelperspektive, mit der Draufsicht und so weiter geht's ja sehr stark auch um die Anordnung von Körpern im Raum. Also wäre Raum vielleicht sogar nochmal ein anderes Level oder muss man das in Verbindung mit dem Körper denken, also diesen kinesphärischen Verknüpfung von Körper, Bewegung und Raum? Und was macht das dann, wenn das irgendwie in eine Vogelperspektive ist oder wenn man reingeht? Inwiefern spielen hier vielleicht auch nochmal filmanalytische Parameter eine Rolle, Kameraführung und so weiter? Und die andere Frage ist nur, die ist total naiv, weil ich mich da echt überhaupt nicht auskenne: Bei der Netzwerkanalyse, inwiefern bilden diese - und vielleicht hab ich es auch falsch verstanden - aber inwiefern bilden diese Cluster und die vektorartigen Verbindungen, inwiefern bilden die Affektdynamiken ab oder tun sie das nicht? Das ist einfach nur eine Verständnisfrage. Ja, ich glaube das was.


Débora Medeiros: Ani, willst du zuerst antworten oder soll ich schon was sagen?


Margreth Lünenborg: Starte doch du.


Débora Medeiros: Das ist eine sehr gute Frage, vielen Dank, Susanne. Ja bei der Videoanalyse tatsächlich ist Räumlichkeit ein sehr entscheidender Aspektes, worauf man sich fokussiert und inwiefern das tatsächlich analytisch zu trennen wäre von den Körpern, ist eine gute Frage. Also bisher habe ich einen sehr kursorischen Blick auf das Material. Ich muss noch die Muster so richtig analysieren und tatsächlich muss man auch darauf schauen, wie die Räumlichkeiten, weil diese Körper Darstellung eine Rolle spielt. Du hast vollkommen recht, dass das nicht getrennt voneinander zu denken ist, sondern eben in Interaktion miteinander. Absolut.


Ana Makhashvili: Genau, soll ich? Also die Netzwerkanalyse ist auf jeden Fall auch Teil von unserer Analyse von affektiven Dynamiken, aber insbesondere auch von unserem Verständnis von affektiven Öffentlichkeiten. Und dieser Begriff, wie Margreth auch schon kurz erläutert hatte, stammt von Zizi Papacharissi usw. Und da geht es auch stark darum, nicht nur auf Inhalte zu gucken, was wir ja auch machen, sondern auch auf die Form und wie diese Netzwerke aufgebaut sind. Also allein die Tatsache, dass es ... kleinen Communities sind, zum Beispiel, ist halt als ein Merkmal von affektiven Öffentlichkeiten zu verstehen. Insofern würde ich schon sagen, dass es auch auf Affektivität hinweist.


Jan Slaby: Ja, vielleicht nur ganz knappe Ergänzung. Also im Sinne Massumis ist es natürlich ganz stark ein Ausdruck von Intensitäten, also die die Dicke oder Schlankheit von Punkten und auch die Intensität von Graphen mache, Intensitäten und damit Kommunikationsdynamiken, die auch einen bestimmten affektiven Gehalt haben. Also für mich sind das schon Visualisierungen, die eben Affektivität jenseits von Bedeutung, also sehen jenseits von Sinnproduktion nur in der Emergenz der Interaktion sozusagen sichtbar machen. Der Verweis auf den Raum, absolut super. Im Reality TV haben wir das intensiverer am Wickel. Ich glaube auch das hier ist ganz wichtig. Wo sehen wir Personen in einem Innenraum mit einer Ruhe, mit einer Statik? Wo sehen wir sie in einem offenen Außenraum oder in einem begrenzten, wie gedrängt oder lose gestreut sind Personen? Alles das sind Elemente, die für diese Form des Affizierens auch von uns als Zuschauenden eine ganz hohe Relevanz haben. Das werden wir auf jeden Fall noch genauer beleuchten. Danke.


Jan Slaby: Die nächste Frage kommt von Francisca.


Florian Birkner: Nicht Franziska, sondern Flo, genau Florian Birkner. Hallo, danke euch! Eine Frage: Ich habe so einen kognitionswissenschaft lichen Hintergrund, deswegen interessiert mich natürlich so stark, was Ihr unter Emotionen versteht oder Affektivität, wurde vielleicht schon irgendwie also in anderen Vorträgen genannt. Vielleicht könnt ihr da nochmal kurz darauf eingehen, genau wie ihr das unterscheidet oder wie ihr das operationalisiert, um dann eben herauszufinden, ah das ist Hass, das ist Verachtung, das ist vielleicht Freude bei Nazi-Netzwerken also genau. Dankeschön!


Margreth Lünenborg: Ich starte, dann kann Ani auf das Material eingehen. Das touchiert jetzt ganz knapp die ganz zentralen Fragen unseres SFB also darüber haben wir schon allen Hauchen geschrieben, was Emotionen, was Affekte sind. Ich versuche das mal in ganz knapper Form, da sind viele Expertinnen und Experten gerade miteinander dabei. Wir begreifen Emotionen als elaborierte, kulturell formierte Formen der, der Bewertung und der Rahmung bestimmter sozialer Interaktionen, die durchaus eine gewisse, also die temporal begrenzt sind. Und da eine Distinktion als eben distinkte Emotionen erkennbar sind, demgegenüber Affekte als eher dynamisch fluide, auch langzeit fortdauernde, im ersten Schritt körperliche, aber wir beschränken es nicht allein auf den körperlichen Ausdruck, sondern ich sehe Emotionen und Affekte nicht als sozusagen trennscharf voneinander getrennt, sondern Affekte speisen Emotionen, finden in diesen ihren Ausdruck, aber gehen darin auch nicht in Gänze auf. Das macht es für die empirische Analyse nicht gerade einfach, um das direkt anzuschließen, also tatsächlich der Operationalisierung, ich glaub, ich nehm Ani jetzt nicht zu viel vorweg, dass die Beispiele, die wir gezeigt haben, da sind wir erst einmal auf der Textebene relativ trivial und schauen danach, wo auch Emotionen benannt werden, da, wo sie explizit als solche bezeichnet werden. Das waren Beispiele, die wir gesehen haben. Das fasst aber natürlich längst nicht alles. Bei der Analyse des audiovisuellen Materials, wenn wir uns da für Affizierung interessieren, reicht das ganz, ganz bewusst, ganz weit über das Explizite hinaus. Es geht eben nicht darum, wo gesagt wird "Huch, jetzt hab ich aber Angst", sondern wo Bilder Angst erzeugen. Das tun sie mit ganz vielfältigen, formal ästhetischen Mitteln. Und deswegen ist da in der Operationalisierung viel komplexerer Prozess. Ich hoffe, das gibt zumindest ne Ahnung davon, auf was wir abzielen, das können wir sonst detailliert gern nochmal weitergehend besprechen.


Jan Slaby: Die nächste Frage kommt von Karin Silva Torres.


Ana Makhashvili: Ich würde kurz zur Operationalisierung noch was hinzufügen. Also genau bei der qualitativen Analyse haben wir teils theoriegeleitet, teils induktiv Kategorien gebildet von Emotionen. Es gibt auch viele Kategorisierungen, auch in der kommunikationswissenschaftlichen Literatur von Emotionen, aber weil wir eben mit diesem dynamischen Verständnis arbeiten und auch nicht so eine scharfe Trennung von Emotionen und Affekten vollziehen, deshalb haben wir auch basierend auf dem Material die Kategorien immer wieder ergänzt und überarbeitet. Inzwischen haben wir auch eine Liste von Emotionen mit jeweiligen Beschreibungen und das hab ich jetzt nicht so genau erläutert in der Präsentation. Aber wir haben einige Fragen formuliert, die unsere Analyse leiten. Also erstens bezieht sich das eben auf explizite Äußerungen und Zuschreibungen von Emotionen und wem das zugeschrieben wird und dann andererseits haben wir auch forschungsleitende Fragen, die darauf schauen, welche kollektiven Körper dadurch entstehen durch diese Emotionszuschreibungen. Genau. Ja, das wollte ich noch sagen.


Jan Slaby: Jetzt dann bitte die nächste Frage von Karen Silva Torres.


Jan Slaby: Thank you very much. I will speak in English, I understood everything, but I find it easier just to ask you this in English. Thank you for your presentation, it was a very good and very interesting and also something I'm trying to research on. My question in particular is, as I understood, you are finding these affective media practices in social media. People making comments, challenging narratives from media from journalists. Have you encountered or are you also seeing, or observing journalists' affective media practices, if you want, right? Making their own comments, their own opinions, part of this affect based narrative in social media or evening news. I would like to know if this is also part of your scope. And what are you are observation so far about it? Thank you.


Jan Slaby: I think, I shoudl answer this. If understood this correctly, you are interested if we encounter this on Social Media, right? I mean, maybe Débora can also say something about media practices of journalists and in the media coverage. In our data base we do not have many posts from Media themselves, but we have a few individual journalistic actors, for instance TV hosts who tweet as private persons and there you can see that they are really stating their opinion and it's not much of this fuctual distanced statements anymore but they are of course already some interpretations and emotions that we can encounter. Most of the established media will for instance openly say that this were far right riots and this kind of behavior should not be accepted and so on. But there are also some central right media and their editors or authors who we also encountered in this other sub-network who would also intensively post on behalf of those people whose frustrations and anger should be legitimized. We had both of the sides.


Margreth Lünenborg: Just as an additional remark: What we try to describe as the the form of producing objectivity in journalism, I would argue, is a form of naturalizing affection. They are covered in a way but of course, we're aware of a lot of news where you do have subtle notions of fans or support or whatever. So of course journalism is never without affect, so to say as well as any kind of social practice is not without affect but you do have modulations and the typcial style in journalism is not of regulating it down and just very single moments of intensity. The other aspect is what Ani mentioned, a thing that is one part of challenging the institutions that we do have in Social Media, the institutional accounts and the individual accounts and partly is a form of branding of journalists. I know partly their numbers of followers are important for their bargaining for money as they shift audience to media, therefore this personal branding ist done in a more personalized way explicitly mentioning, shouting, affecting others as the type of communication on digital media is different news magazines send and they want to have a different regulations of affect in different realms is really an interesting aspect today, I think.


Jan Slaby: Ich habe jetzt selbst eine Frage. Ich finde das alles super. Ich habe nur eine etwas grundsätzlichere Überlegung zur Anlage eurer Studie, denn ihr habt jetzt sehr fokussiert auf einen wirklich markantes sozusagen Krisenereignis oder exzeptionelle Ereignis, man könnte ja trivialer Weise sagen, für Affekte ist da schon gesorgt. Da braucht der Journalismus nicht noch Affekte produzieren. Und es ist auch ein Moment, wo tatsächlich die Gesellschaft sich polarisiert und es gibt - man hat das in eurem Video Beispiel schon gesehen. Es gibt den automatischen Schulterschluss zwischen Tagesschau und Bundesregierung in dem Moment. Linda Zervakis und Steffen Seibert spielen sich quasi die Bälle zu und sagen im Grunde dasselbe. Und das ist ja etwas, was man eigentlich nicht hat, wenn die Tagesschau kommt jeden Tag, Zeitung erscheint jeden Tag. Wenn man jetzt den methodischen Fokus eher auf den langweiligeren Alltag mit seinen Nachrichten von sozusagen geringerem eigenen Affizierungsanteil verwendet, wäre das nicht eigentlich einen methodischen etwas sicherere Weise, um Aussagen über den affektiven Zustand und auch den Status des Journalismus als herausgeforderte Institution zu machen? Oder habt ihr besondere, ja Absichten damit verbunden, an so einen Breaking Point zu gehen? An so einen Krisenmoment. Man kann jetzt ja fragen, andere werden [...] Covid ist natürlich eine Sache, die zu einer zweiten Normalität geworden ist, die aber langfristiger läuft. Aber es gibt eben auch viele sozusagen News von weniger Affizierungspotenzial, wo man dann natürlich die Affektspezifik der journalistischen Bearbeitung vielleicht deutlicher studieren könnte. Das wäre so eine Frage an euer Projekt insgesamt, ob ihr sowas auch untersucht, also sozusagen andere Modi von journalistischer Alltagsbearbeitung außerhalb des Krisenmodus? Oder würdet ihr sagen, eigentlich ist heutiger Journalismus immer im Krisenmodus, was ja auch sein kann?


Margreth Lünenborg: Wir haben dieses Ereignis natürlich nicht zufällig gewählt und du hast das jetzt auch so auf den Punkt gebracht, wenn man das böse sagt, ist die Zuschreibung von Staatsfunk in genau diesem Modus, dem Journalismus da übernimmt, nämlich tatsächlich "Beruhigt euch mal alle, wir haben's im Griff". Das macht der Regierungssprecher und das ist tatsächlich die affektive Tonalität der Nachricht. Also da ist, wenngleich wir alle über die institutionelle Unabhängigkeit Bescheid wissen und ich die letzte wäre, die die in Frage stellen würde, ist aber die die affektive Botschaft wirklich sehr nah beieinander. Und wir erinnern davon schon einiges nach. Die Sparbücher sind sicher, da hat genau dasselbe stattgefunden: großes gesellschaftliches Krisenmomentum, Beruhigung durch den Finanzminister. Und genau diese Beruhigung tröten alle raus, um dann anschließend die Börsenkurse auch wieder in der entsprechenden Beruhigung kommunizieren zu können. Also das ist eine Funktion von Journalismus, in einem spezifisch natürlich extrem zugespitzten, affektiv herausgeforderten Momentum. Zugleich ist es das Wesen von Journalismus, wenig über Normalität, sondern immer über das Besondere zu berichten. Das ist jetzt geradezu eine Trivialität in in der Betrachtung von Journalismus. Aber wir finden da natürlich schon erheblich unterschiedliche Pegel an Normalität oder Exzeptionalität. In den Ereignissen, die wir ausgewählt haben, haben wir nicht nur solche dramatischen Ereignisse, aber das sind natürlich schon Nachrichtenereignisse. Und das sind, weil uns das in der etwas längeren Zeitschiene auch interessiert, schon auch Ereignisse, an denen sich kollektives Gedächtnis konstituiert, weil uns das schon interessiert: Wie organisiert Journalismus eben auch ein gesellschaftliches Erinnern? Und das tut er in hohem Maße an bestimmten, ja herausragenden Ereignissen und nicht an dem "Heute zum 37. Mal fand wieder und haben sich die Hände geschüttelt und gut war" oder so. Von daher, ja nicht immer dieses Extrem und dieses Extrem ist mit Blick auf Affektdynamik sicherlich etwas ganz Spezifisches, nicht der Standardbetrieb. Aber weil uns interessiert, wie verhandelt Journalismus, Migration, Migration und Flucht, haben wir da eben in den nachrichtlichen Bereichen ausgesprochen selten sozusagen Normalität, erfolgreiche multikulturelle Dynamiken, sondern den nachrichtlichen Fokus eben immer auf bestimmte Momente der Krisenhaftigkeit oder aber - die haben wir auch mit drin - klassisch politisch inszenierte Ereignisse, also der Integrationsgipfel und " haste nicht gesehen", also da organisiert sich Politik ein bestimmtes Ereignis auf das Journalismus dann bereitwilligst auch immer aufspringt, weil dieser Form von Agenda Setting wird dann schon gefolgt. Also ich fühlte so die ganz normale Alltagsnormalität, die kriegen wir in diesen Formen nicht. Da müsste man dann dokumentarische Formate oder so vielleicht nochmal betrachten. Wobei, das ist jetzt so ein Stichwort, da muss Débora was zu sagen zum Dokumentarischen, also die Baseball-Schläger Jahre sind ja Rückerinnerung an eine bestimmte Normalität, die haben wir auch mit drin, da soll Débora was zu sagen.


Jan Slaby: Ja, ja, ich glaube, zu unserer Ereignisauswahl: Ich glaube, es liegt viel am Medium auch. Also wir haben versucht, soviel Vielfalt wie möglich da miteinzubeziehen. Also es sind Ereignisse wie die Grundgesetzänderung in Paragraph 16, wo es von der Politik quasi heraus kommt und wo man diese Diskussionen im Bundestag hat, dann hat man so Ereignisse, wo migrantische Akteure die Initiatoren sind wie die Marsch der Hoffnung 2015. Es gibt natürlich viele rechtsextreme Ereignisse wie der Anschlag in Hanau, Chemnitz und das Rostock-Lichtenhagen Pogrom. Das sind so, da sind so sehr große und sehr dramatische Ereignisse mit großen Emotionen. Auch die Wulff Rede, wo er sagt, der Islam gehört zu Deutschland, ist da dabei, wo wir dachten, es ist ein Versuch, diesen Multikulturalismus in den Vordergrund zu stellen von einem politischen Akteur. Und dann sieht man die Reaktionen der Gesellschaft. Da wurde versucht von uns, da so eine Vielfalt widerzuspiegeln. Aber gerade wegen dieses Mediums Fernsehen: Es gibt viele Ereignisse, die in Frage kämen, gerade wo migrantische Akteure im Mittelpunkt stehen oder zu den Initiatoren gehören, die nicht so viel Fernsehberichterstattung haben. Also selbst die NSU-Mordserie mussten wir mehrere Wochen in der Auswahl haben bei den Fernseher Archiven, um zu wissen, wo es Berichterstattung gab. Weil direkt nachdem Beate Zschäpe sich gestellt hat, gab es sehr wenig Berichterstattung z.B.. Also es kam mit dem Gerichtsverfahren erst wirklich auf die Tagesordnung. Deswegen glaube ich liegt es viel in diesen Affordanzen des Mediums Fernsehen einerseits und aber andererseits in anderen Formaten findet man schon diese alltägliche oder diese Erinnerungskultur wie, was Margreth meinte mit de Baseballschläger-Jahren. Das ist so eine sehr spannende Kombination, weil das wurde von einem Journalist von der Zeit als Hashtag gestartet. Ich glaube letztes Jahr. Wo Menschen sich erinnern sollten an die 90er und an den Rechtsextremismus in den 90ern. Da waren sehr alltägliche Erinnerungen von Menschen in dieser Zeit, die durch rechte Gewalt zu Opfern wurden oder halt das zumindest gesehen haben und erlebt haben in ihren Städten und so weiter. Und jetzt ist eine Dokumentation auf Zeit online verfügbar, wo das ausführlicher erinnert wird und journalistisch aufgearbeitet wird. Ja, da werden wir wahrscheinlich was dazu machen, weil es tatsächlich diese Mischung von Twitter und traditionellem Journalismus diese Iteration sehr interessant schildert. Und man hat auch andere Formate, die versuchen, eine Mischung von Journalismus und affective witnessing sind zu erzeugen, wo z.B. migrantische Akteure mehr zu Wort kommen und Repräsentation erfahren, wie eine eine Doku, die heißt "My Escape" auf WDR, die quasi aus Interviews mit Menschen, die als Geflüchtete in Deutschland leben und Videomaterial, das sie selber auf dem Weg nach Deutschland gefilmt haben, nicht gedreht aber gefilmt haben. Die besteht daraus, diese Doku und das ist auch eine interessante Artikulation von anderen Diskursen. Also auch nicht alltäglich, aber zumindest andere Perspektiven als man normalerweise sieht im Journalismus.


Jan Slaby: Super, ja sehr hilfreich. Sehr spannend. Ich hab auch gleich sogar ein quasi Follow Up zu euerm Projekt, aber erst einmal nehme ich Regina Brückner dran, die wartet schon so lange.


Regina Brückner: Danke schön. Danke erst mal für den sehr interessanten Vortrag. Ich hab ein, zwei Fragen zu der Twitter Analyse und zwar, ist euch möglich oder habt ihr das in den Blick genommen, wie im zeitlichen Verlauf sich die Diskurse verändert haben oder die Afffizierungen sich verändert haben? Also z.B. nachdem das Hetzjagd Video sozusagen dominant wurde und der Diskurs um dann "ist das eine Hetzjagd oder nicht?", ob sich eine stärkere oder eine andere Affizierung oder eine stärkere Radikalisierung vollzogen hat, fänd ich ganz interessant. Und zum zweiten, also das gehört vielleicht noch mit dazu, inwiefern ihr einzelne Filterbubbles sozusagen angucken könnt? Also man hat es ja in der Netzwerkanalyse gesehen und ich frage mich immer, wie schafft man das, sozusagen ein Durchschnitts-Twitter-User einer bestimmten Bubble, den es natürlich so nicht gibt, aber so einen Feed nachzuvollziehen, was so jemand im Laufe der Zeit liest, tweetet, retweetet usw.. Das ist sozusagen eine Frage, ob das überhaupt möglich ist, da ein Close Reading über diesen Zeitraum zu machen, nicht einzelne Tweets herauszugreifen. Und zum dritten,das schließt vielleicht ganz anders, was Débora gesagt hat uu den Baseballschlägern: Ich war ein bisschen überrascht, und das hat was mit meiner eigenen Twitter-Bubble zu tun, dass in eurem Netzwerk die regionalen Medien -also ich habe da sehr stark die freie Presse Chemnitz wahrgenommen, durchaus aus als umkämpften Akteur da. Das kam jetzt gar nicht vor und das hat mich überrascht, zeigt meine eigene Bubble. Aber vielleicht wäre das interessant, da auch nochmal zu gucken, wie sich eigentlich regionale Medien und überregionale Medien da unterscheiden in der Berichterstattung. Die Freie Presse Chemnitz, die haben glaube ich ihre Büros da direkt am Markt und haben das quasi live mitbekommen und zum Teil auch Videos aus dem Fenster veröffentlicht, gefilmt von den Demonstrationen usw..


Ana Makhashvili: Ich würde mit der dritten Frage anfangen, weil wir das schon eigentlich so kategorisiert haben, dass wir auch regionale Medien uns separat noch angeschaut haben. Das war jetzt in der Präsentation nicht mit drin, weil wir nicht so viel Zeit hatten. Aber freie Presse wurde tatsächlich auch von Rechtsradikalen, insbesondere sehr häufig verlinkt, weil sie eben die Hetzjagd verleugnet haben. Und ja, es wurde halt in dieser Zeit sehr, sehr oft von Rechtsradikalen referenziert als ein vertrauenswürdiges Medium. Was ich zur zeitliche Dimension sagen kann, bei Chemnitz werden wir das nicht machen, weil es eben 10000 Tweets sind, wo auch viele Duplikate drin sind in Form von Retweets, deswegen sind das einfach nicht genug, um diesen Zeitverlauf für diese eine Woche nachzeichnen zu können. Das werden wir aber wahrscheinlich bei Hanau machen. Da habe ich drei Tage lang Tweets mitgeschnitten und wir haben 200.000 Tweets. Also da kann man das viel besser machen. Genau. Es gab noch eine dritte Frage zu den Bubbles.


Margreth Lünenborg: Close Reading von ganzen Threats war die Frage, oder?


Débora Medeiros: Wie ordnet man die Leute in bestimmte Bubbles?


Ana Makhashvili: Als wir diesen Algorithmus angewendet haben, wurden ja diese kleine Clusters identifiziert. Und da hab ich dann inhaltlich geguckt bei den Akteur:innen, die besonders zentral waren in den einzelnen Clusters, um inhaltlich zu gucken, ob es sich hier um einen rechtsradikales Netzwerk handelt, weil man ja eben viele Akteur:innen gar nicht kennt. Also bei politischen oder medialen Akteur:innen kann man das direkt sagen, aber weil es eben viele pseudonyme Accounts waren, haben wir einfach bei diesen zentralen oder gut vernetzten Akteur:innen geguckt, was die so gepostet haben. Auf Twitter kann man viele nicht mehr finden. Also deshalb basieren wir uns hauptsächlich auf unseren Datensatz und was sie in diesem Datensatz gepostet haben. Aber genau, also genau das machen wir schon. Auch was in unserer Präsentation jetzt nicht dabei war, waren die ganzen Tweets zu #WirSindMehr. Und da findet man auch noch eine konkurrierende Bewegung oder Gegenbewegung zu der rechtsradikalen Mobilisierung. Ich weiß nicht, ob das jetzt deine Frage beantwortet.


Débora Medeiros: Nur kurz ergänzend dazu: Die Hetzjagd-Debatte, ich glaube, das wurde stärker gegen Ende unserer analysierten Woche. Also zumindest bei dem Fernsehmaterial, das wird gezeigt bei der Tagesschau. Aber ich glaube, je mehr die Politik darauf sich darauf bezieht auf dieses Video, desto umkämpfter wird es. Also im Moment hab ich noch nicht so näher analysiert, um zu sagen, ob das deine Veränderung stattfand, aber ja, das ist ein spannender Aspekt bestimmt, um diesen Zeitverlauf zu beobachten.


Jan Slaby: Gibt es noch weitere Fragen an die drei Vortragenden? Sonst würde ich noch eine stellen. Sorry dafür, ich weiß. Ihr wisst, ich mache immer das Big Picture so ein bisschen. Und das ist, glaube ich, nicht wirklich euer Thema: Ihr guckt euch den Journalismus als Praxis, als also als Darstellungs- und Plattformpraxis an und weniger die Rezeptionsseite, oder? Korrigiert mich, wenn ihr das auch anschaut, weil ich finde es, es käme einfach, um das Gesamtbild sozusagen des sich wandelnden Journalismus wirklich zu erfassen, käme es doch auch darauf an, sich auf User Praktiken zu konzentrieren, weil diese Leute, die jetzt die Medien herausfordern und Sachen wie Staatsfunk twittern, das sind ja immer nur wenige, die sozusagen ideologische Challenges wirklich formulieren und vorbringen. Was aber, glaube ich, die Institution auch wirklich verändert, ist die Tatsache, dass ganz viele Menschen einfach keine Tagesschau mehr einschalten, sondern sich ihre News eben irgendwie in ihren Bubbles selber zusammenstellen. Und ich glaube, wenn man den Journalismus als größeres Dispositiv in der Gesellschaft fasst, müsste man diese Seite einfach auch mitbetrachten. Und ich glaube, das habt ihr auch viel schon in der ersten Laufzeit zu Rezeptionsdispositiven gemacht, beim Fernsehschauen von von Reality TV. Ist sowas jetzt auch noch Teil eurer Projektarbeit oder rezipiert ihr da entsprechende Forschung, um das Bild in dieser Richtung zu vervollständigen? Es ist ja auch ein großes Thema gerade in der Pandemie, die vielen, vielen Menschen, die sozusagen nicht auf die offiziellen Messages gehen oder diese nicht ernst nehmen oder die vielleicht auch gar nicht zu ihnen durchdringen. Wie weit spielt das noch eine Rolle in eurer aktuellen Arbeit?


Margreth Lünenborg: Also wir führen eine Menge fort aus dem Reality TV Projekt, aber wir haben uns jetzt bewusst gegen eine Fortschreibung dieser Rezeptionsstudie entschieden. Für die, die das nicht kennen, wir haben tatsächlich uns die Zuschauenden auf dem Sofa zuhause mit Video Beobachtung angeguckt, um tatsächlich auch diese körperlichen Affizierungsprozesse zu erfassen. Das ist für Nachrichtenrezeption nicht sinnvoll, auch nicht machbar in der Weise. Natürlich kennen wir Nutzungsdaten insgesamt. Was wissen wir über Verschiebung? Für die Pandemie stimmt das eben auch nicht. Der Beginn der Coronazeit war die absolute Boomzeiten von harten Nachrichten. Die Auflagen, die Zugriffszahlen waren seltenst so hoch wie da. Also ein ganz intensives Nachfragen von jedes Mal die aktuellste Zahl und das Verschieben auf verschwörungsideologische Blasen ist ein vergleichsweise - immer noch - kleines Segment, jedenfalls wenn wir von der bundesdeutschen Öffentlichkeit sprechen. USA ist nochmal anders. Also da darf man auch nicht gleich zu grobschlächtig unterwegs sein und sagen, keiner guckt mehr die Tagesschau und alle haben nur ihre Telegram und Kanäle oder so. So ist es irgendwie auch nicht. Also das ist ein Kontext, um den wir wissen, den wir durchaus auch mit natürlich reflektieren. Aber wir machen nicht gleichzeitig noch empirische Publikumsforschugn. Was wir mit drin haben, das hatten wir jetzt hier gar nicht mit drin, was auf der Ebene des Audiovisuellen, also was mich auch total interessiert und wir auch genauer betrachten werden, sind eben auch YouTuber, die mit eben ganz anderen audiovisuellen Erzählweisen, ja durchaus diskursive Bewertungen, Einschätzungen von aktuellen Ereignissen liefern und daher auch die Kommentare ein hohes Maß an Interaktion zeigen. Wir wissen sonst, dass das Kommentieren von journalistischen Beiträgen sozusagen ein sehr kleines Segment, was sehr, sehr laut ist, reflektiert. Das gibt eben keinen Eindruck von sozusagen durchschnittlichen Rezeptions- oder auch auch Interaktionsmodi. Da müsste man nochmal mal andere Befragungsweisen wählen. Man muss noch Ziele haben im Leben. Das kommt vielleicht später, nicht jetzt. Ich glaube, wir haben echt genug am Wickel in den unterschiedlichen Textdualitäten, Medialmodalitäten, die wir da miteinander betrachtet wollen.


Débora Medeiros: Absolut. Ihr müsst die Fragen als Komplimente verstehen. Ich fand dasso gut, dass ich einfach noch mehr wissen will. Ihr sollt noch mehr erforschen für mich. Die Theresa hat noch einen Hinweis und damit ist dann die Liste geschlossen. Bitteschön, Theresa.


Ana Makhashvili: Ja, ist auch so eine Art Impuls, was ihr noch machen könntet. Aber es kam mir auf, als du, Débora, als du erzählt hast von der Dokumentation, also einerseits Affective Witnessing und dann diese "My Escape" Dokumentation. Da dachte ich, dass zu dem Wandel des Journalismus gehört ja massiv auch gerade diese Zuwendung zu dem sogenannten immersiven Journalismus und gerade da, wo die Einbeziehung des Publikums eben nicht nur auf der partizipativen Ebene von Social Media und man macht mal schnell ein Emoji oder irgendwie Kommentar, sondern wo die eigentlich genau das, was ihr untersuchen wollt, nämlich die sinnlich leibliche Affizierung ja sozusagen der massivsten Körperlichkeit sozusagen im Vergleich zu den anderen Medien Formaten, die ihr euch anguckt, stattfindet und gerade ja eben auch die öffentlich rechtlichen Sender meines Wissens da gerade ganz stark auch irgendwie investieren, um Reportagen eben in 360 Grad in AR oder in VR zu produzieren. Und da ist ja sozusagen dieses Dispositiv der Einbeziehung des Zuschauers und der Affizierung, vor allem wenn es um Perspektiven und genau dieses, ihn rein zu holen und ihm diese Point of View Stellung sozusagen zuzuweisen in Bezug auf die Ordnung der Emotionen, nochmal besonders interessant, kann ich mir vorstellen.


Débora Medeiros: Das ist ein guter Hinweis. Es gibt einige Studien dazu, über die weniger immersiven journalistischen Angebote, die es schon gibt oder die stärker zirkulieren, vor allem im englischsprachigen Raum. Und da werden oft auch ethische Fragen aufgeworfen. Also wenn man das körperlich wirklich erlebt und sich hineinversetzt in jemanden, wie es manchmal der Fall ist, das kann einerseits Empathie erzeugen, das ist die Hoffnung, glaube ich, in vielen Fällen. Aber was ist z.B. mit Desinformation, wenn immersive Desinformationsangebote, die stark auf Angst, auf Panik und so weiter bauen, wie wär das? Auf jeden Fall, das ist echt so für die Zukunft ein sehr großes Forschungsfeld, das man auf jeden Fall untersuchen sollte. Und ich könnte mir vorstellen, dass es vielleicht bis zum Ende der Laufzeit Angebote gibt für unser Projekt, auch mit mit Fokus auf Migration und Flucht. Vielleicht könnten wir zusammen machen etwas in die Richtung.


Margreth Lünenborg: Ja vielen Dank, Theresa, für den Hinweis. Ich habe das mit Studierenden schon mal gemacht. Da passiert natürlich einiges. Ich würde fast sagen, mich wundert, dass du das als immersiv durchgehen lässt, weil in Relation zu euren immersiven Theatererfahrungen ist das natürlich Pipifax, aber eine der ersten, auch extrem mit Preisen versehenen, Produktionen war ein immersives Reportagevideo aus einem Flüchtlingscamp, wo dann tatsächlich die Zuschauenden visuell das Erleben hatten, selber in diesem Raum und unterwegs zu sein, was natürlich ein immens affizierendes Potenzial hat. Allerdings ist das halt technisch schon extrem aufwendig. Wir wissen, dass auf der Nutzerseite - ich hab jetzt auch so ein Headset, wo ich meinem Handy einklemmen kann, aber das ist ja alles irgendwie vergleichsweise low level. Also um das wirklich immersiv zu erleben, bräuchte man anspruchsvollere auch Wiedergabetechnik dann durchaus. Von daher, das ist es im Journalismus auf jeden Fall unterwegs, aber das Investment, was da erforderlich wäre um mehr als 360 Grad, das gibts schon relativ viel, was aber auch naja, irgendwie ein bisschen Spielerei ist und nicht unbedingt das an Ertrag bringt, um da mehr zu bieten, müsste man tatsächlich erheblich mehr investieren, aber unsere nächste Laufzeit bietet vielleicht dazu auch Potenzial. Mal gucken! Danke für den Hinweis.


Jan Slaby: Ja, das war es. Vielen Dank Margreth, Débora und Ana, das war super. Hat sehr viel Spaß gemacht, eine schöne Diskussion auch noch im Nachgang und ich glaube, ihr hab viel Interesse für euer Projekt und eure laufende Arbeit geweckt. Bei uns allen. Ja, in diesem Sinne, das war's. Schönen Abend allerseits.


Margreth Lünenborg: Danke euch allen!


Ana Makhashvili: Vielen Dank!