Ausführliche Projektbeschreibung
Die sogenannte „Flüchtlingskrise“ von 2015 sowie die darauffolgenden Fluchtbewegungen aufgrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine 2022 haben in europäischen Gesellschaften sowohl große Solidarität als auch tiefe Spaltungen hervorgerufen und zu emotional ausgetragenen Debatten über europäische Migrationspolitik auf unterschiedlichen Ebenen geführt.
Die damit einhergehenden emotionalen Diskurse und Praktiken der affektiven Kontestation europäischer Migrationspolitik durch aktivistische Gruppen des linken und rechten politischen Spektrums stehen im Zentrum dieses politikwissenschaftlichen Teilprojekts, welches fragt: Welche institutionell verankerten Emotionsrepertoires der Migrationspolitik zeigen sich auf der Ebene der Europäischen Union (EU) und inwiefern fechten aktivistische Diskurse und Praktiken diese Emotionsrepertoires an?
Untersuchungsgegenstand:
Das Projekt untersucht das dynamische Wechselspiel zwischen einerseits jenen Emotionsrepertoires, die von staatlichen Stellen der EU kommuniziert und mobilisiert werden, und andererseits Artikulationen von Emotionen seitens aktivistischer Netzwerke („affects from below“), die die Emotionspolitik staatlicher Autoritäten in Frage stellen. Wann immer staatlich kommunizierte Emotionen durch „affects from below“ herausgefordert werden, werden zugleich internationale Institutionen wie die EU, die transnationale Projekte repräsentieren, in Frage gestellt, was wiederum die Beziehung zwischen lokalen und europäischen Akteur:innen verändern kann.
Unter Emotionspolitik versteht das Projekt politische Diskurse und Praktiken, die bestimmte Emotionen und Ausdrucksweisen für politische Zwecke ansprechen, kultivieren, manipulieren oder nachahmen. Das Projekt beleuchtet Situationen, in denen Bedeutungen einzelner Emotionsrepertoires umstritten sind bzw. das, was das Projekt als affektive Orte der Auseinandersetzung bezeichnet: Situationen und Ereignisse, in denen Regeln und Normen über den angemessenen Ausdruck von Emotionen in Frage gestellt, abgelehnt und möglicherweise neu definiert werden.
Theoretische, methodische und empirische Arbeit:
Theoretisch entwickelt das Projekt ein Analysemodell affektiver Kontestation zwischen den Idealtypen staatlich etablierter Emotionsrepertoires und alternativer, aktivistischer Gefühlsgemeinschaften als analytische Prismen zur Rekonstruktion der Orte politischer Auseinandersetzung mit Emotionsrepertoires in der EU. Methodisch entwickelt es eine emotionsbasierte Diskursanalyse zur Erfassung umstrittener verbaler und visueller Emotionsausdrucksformen. Empirisch untersucht das Projekt anhand von zwei Beispielgruppierungen in Deutschland, wie Gefühlsgemeinschaften, die sich selbst an den Rändern des linken oder rechten politischen Spektrums verorten, europäische Migrationspolitik als affektiv umkämpftes Politikfeld konstruieren.