Affective Witnessing in the Courtroom
Bens, Jonas – 2020
Am 22. Januar 2016 saß ich auf der Besucher*innentribüne des Gerichtssaals 1 des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, Niederlande. Auf der Tagesordnung stand an diesem Tag die Anhörung zur Bestätigung der Anklage gegen Dominic Ongwen, einen ugandischen Staatsangehörigen in den Vierzigern und ehemaligen hochrangigen Befehlshaber der Lord's Resistance Army, einer Rebell*innentruppe aus Norduganda. Ongwen wird vorgeworfen, während eines militärischen Konflikts mit der ugandischen Regierung in den frühen 2000er Jahren Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. An diesem Tag spielte die Staatsanwaltschaft ein kurzes Video vor, das von Ermittler*innen der ugandischen Armee kurz nach dem Angriff der Lord's Resistance Army auf ein Lager für Binnenvertriebene aufgenommen worden war. Auf dem Video waren mehrere Leichen von kleinen Kindern zu sehen, von denen einige unter drei Jahre alt waren. Die Leichen waren verstümmelt und teilweise verbrannt. Bevor sie das grausame Video zeigte, beschrieb die Staatsanwältin den Inhalt sachlich und ohne jedes Zeichen von Zuneigung. Sie fügte hinzu, dass sie die Öffentlichkeit davor warnen müsse, dass die Bilder verstörend sein könnten - immer noch in demselben monotonen und desinteressierten Tonfall, ohne irgendeinen Gesichtsausdruck zu zeigen.