Die Soziologie der Emotionen. Kollektivität, Identität und Kultur
Scheve, Christian von – 2019
Eine grundlegende Annahme soziologischer Auseinandersetzungen mit der Bedeutung menschlicher Emotionalität für das Soziale liegt darin, Emotionen als soziale und kulturelle Konstrukte zu verstehen. Das bedeutet zum einen, dass Emotionen nicht vollkommen arbiträr und individuell auftreten, sondern mehr oder weniger systematisch und strukturiert, etwa in Anlehnung an bestehende Machtverhältnisse, soziale Ungleichheiten oder die Struktur sozialer Netzwerke. Zum anderen bedeutet diese Sicht, dass Emotionen eng verbunden sind mit sozial geteilten Normen, Werten, Überzeugungen und Praktiken, sowohl in Bezug auf die Situationen, in denen sie entstehen – also wie sie erlebt, kommuniziert und reflektiert werden – als auch hinsichtlich ihrer Kulturbedeutung, beispielsweise ihrer kulturellen Wertschätzung oder Tabuisierung, ihrer Kommodifizierung und politischen Instrumentalisierung (s. Kap. VI.53) oder ihres Stellenwerts als Gegenstand der Wissenschaften.