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Interview der SFB-Newsletter-Redaktion mit TP INF

(Februar 2021)

   

„Teilprojekt Informationsinfrastruktur und Datenmanagement in einem sozial- und kulturwissenschaftlichen Sonderforschungsbereich“ – das ist, wie man im Englischen sagen würde, ‚quite a mouthful‘! Wie würdet Ihr Eure zentralen Aufgaben und die Zielsetzung des Projekts beschreiben?

Die Möglichkeit ein Teilprojekt „Informationsinfrastruktur“ (kurz: INF-Projekt) zu beantragen gibt es im Rahmen von DFG- Sonderforschungsbereichen seit 2007. Zu den Aufgaben der INF-Projekte gehören die Planung und Umsetzung eines Datenmanagementkonzepts und der Aufbau und der Betrieb der dafür notwendigen Infrastruktur. Sie sind also zunächst als Serviceprojekte konzipiert. In diesem Sinne beraten wir den Verbund bei organisatorischen und technischen Fragen des Forschungsdatenmanagements und bieten konkreten Support bei teilprojektspezifischen oder individuellen Anliegen der Forschenden an. Beim Aufbau von Serviceangeboten und Infrastrukturen arbeitet unser Projekt eng mit Informationseinrichtungen der Freien Universität Berlin, wie dem Hochschulrechenzentrum (ZEDAT) und dem Center für Digitale Systeme (CeDiS), zusammen.

Unser Projekt zeichnet sich dadurch aus, dass es außerdem auch einen Forschungsbeitrag leistet, indem die Forschungs- und Datenpraktiken der Wissenschaftler:innen im SFB empirisch untersucht und vor dem Hintergrund (inter)disziplinärer Spezifika reflektiert und diskutiert werden. Besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf dem Umgang mit qualitativen Forschungsdaten und -materialien. Die so gewonnenen Einsichten helfen uns wiederum auf der Serviceebene fach- und materialspezifische Strategien und Lösungen für den Verbund zu entwickeln. Ganz konkret soll zum Beispiel eine Handreichung zum Forschungsdatenmanagement sowie ein E-Learning-Modul als praktische Hilfestellung für Nachwuchswissenschaftler:innen aus den qualitativen Sozialwissenschaften entwickelt werden.

Bei unserer Forschung wollen wir auch die affektiven und emotionalen Dimensionen im Blick behalten und ernstnehmen. Forschungsdatenmanagement ist in den letzten Jahren immer stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit von Förderinstitutionen und Hochschulen gerückt. Indem es im Zusammenhang mit guter wissenschaftlicher Praxis thematisiert und zunehmend in Leitlinien festgeschrieben wird, wird es Teil von Institutionen und normativen Ordnungen. Solche Prozesse sind, wie wir durch die zahlreichen Vorarbeiten unserer Kolleg:innen am SFB wissen, emotional und affektiv aufgeladen und für uns deshalb von besonderem Interesse.

 

Datenmanagement und Datennutzung sind ja insbesondere mit Blick auf die qualitativ arbeitenden sozialwissenschaftlichen Fächer vieldiskutierte und nicht unumstrittene Bereiche. Könnt Ihr kurz erklären, wo da die Schwierigkeiten liegen, und wie Ihr die Arbeit des Teilprojekts darin verortet?

Wenn über Forschungsdatenmanagement gesprochen wird, schwingt meist eine ganz bestimmte Idee davon mit, was eigentlich Daten sind. Häufig wird etwa an Messreihen, Umfrageergebnisse oder statistische Erhebungen gedacht. Forschungsdaten werden in diesem Sinn als etwas objektives und quantifizierbares verstanden, also als Fakten. Diese Sichtweise, wie sie in vielen Naturwissenschaften oder quantitativ arbeitenden Disziplinen verbreitet ist, prägt die Diskurse und Politiken des Umgangs mit und der Bereitstellung von Forschungsdaten.

Dieser Datenbegriff stellt einen Forschungsverbund, in dem vorwiegend qualitativ gearbeitet wird, vor Herausforderungen. Denn er scheint nicht zu passen, wenn mit Materialien wie Interviewaufnahmen und Transkripten, Fotos, Feldtagebüchern, Gesprächs- und Beobachtungsprotokollen, annotierten Primärtexten, Filmen oder Social-Media-Daten gearbeitet wird. Dieses Datenmaterial betrachten wir immer als sozial und kulturell eingebettet.

Der Umgang mit qualitativen Forschungsdaten und -materialien bringt spezifische Herausforderungen mit sich, gerade wenn es darum geht Forschungsdaten für andere verfügbar zu machen. Als Forscher:innen tragen wir eine besondere Verantwortung für den Schutz unserer Forschungsteilnehmenden, so auch ihrer personenbezogenen Daten. Einige unserer Teilprojekte arbeiten aber in Kontexten, die es in Berlin, oder teilweise in ganz Deutschland so nur ein einziges Mal gibt. Die üblichen Formen der Anonymisierung reichen hier schlichtweg nicht aus, um Forschungsteilnehmer:innen ausreichend zu schützen. Das Material so stark zu verfremden, dass die Anonymität der Teilnehmenden gewahrt wäre, würde enorm viel Zeit und Ressourcen erfordern. Selbst wenn keine ethischen Bedenken bestehen stellt sich bei Datenmaterial insbesondere aus ethnografischen Forschungen die Frage, ob andere Wissenschaftlter:innen damit überhaupt etwas anfangen können. Diese Forschungsdaten lassen sich losgelöst vom Kontext und der Person, die sie erhoben hat, kaum verstehen. Ethnolog:innen greifen beispielsweise oft bei der Interpretation ihrer eigenen Daten auf Feldnotizen zurück, diese sind teilweise aber so persönlich und privat wie ein Tagebuch. Hier gibt es also durchaus berechtigte Vorbehalte gegenüber einer Veröffentlichung solchen Materials.

Darüber hinaus gibt es auch noch die Disziplinen, bei denen zunächst gar nicht klar ist, ob sie überhaupt mit Daten arbeiten und inwiefern sie sich mit Forschungsdatenmanagement auseinandersetzen sollen. Nichtsdestotrotz werden auch an diese Disziplinen, wie etwa die Literaturwissenschaft oder die Philosophie, zunehmend die gleichen Anforderungen gestellt wie an quantitative empirische Wissenschaften. Die daraus resultierenden Spannungsverhältnisse nehmen wir explizit in den Blick. Unsere Arbeit soll diese Verschiedenheit präzise erfassen undanerkennen und empirisch fundierte Positionen generieren, die wir in die Debatten rund um das Forschungsdatenmanagement einbringen können.

 

Wie geht Ihr bei der Begleitforschung in Zusammenarbeit mit den anderen SFB-Teilprojekten vor?

Wie wir bereits erwähnt haben, haben die Disziplinen, aber auch die einzelnen Projekte und individuellen Forschenden ganz unterschiedliche Ansichten davon, was Forschungsdaten sind und was Datenmanagement für sie bedeutet. Ein erster Schritt unserer Forschungstätigkeit ist es also mit möglichst allen Teilprojekten darüber ins Gespräch zu kommen. Wir arbeiten qualitativ sozialwissenschaftlich, insbesondere mit leitfadengestützten Interviews, die uns Einblicke in die konkrete Projektarbeit, disziplin- und projektspezifische Arbeitsabläufe und individuelle Datenmanagementpraktiken von Forschenden bieten. Dabei interessieren uns ebenso die Perspektiven, Ansichten und Haltungen gegenüber Forschungsdatenmanagement und die Aushandlungen des Datenbegriffs.

Bei unseren Forschungsgesprächen finden sich auch immer wieder Schnittstellen mit den Themen und Arbeitsweisen der Teilprojekte. Das ist nicht verwunderlich, denn obwohl Forschungsdatenmanagement oft als neue Herausforderung für die Wissenschaft beschrieben wird, sind viele Aspekte alles andere als neu. Forschungsdatenmanagement umfasst ganz basale Operationen wissenschaftlichen Arbeitens wie Ordnen, Speichern und Verzeichnen. Der Unterschied ist, dass der Großteil der Forschungsdaten mittlerweile in digitaler Form vorliegt und verarbeitet wird. Die Bedingungen haben sich also verändert und müssen daher neu reflektiert werden. Diesen sich aus dem Feld ergebenden Themen wollen wir zukünftig mehr nachgehen und dazu enger mit einzelnen Teilprojekten, bei denen wir gemeinsame Interessen identifizieren konnten, zusammenarbeiten.

Durch unsere teilprojektübergreifende Arbeit sind wir sozusagen „mittendrin“ im wissenschaftlichen Treiben unseres interdisziplinären Forschungsverbundes und nehmen beobachtend teil. Dabei lässt sich feststellen, dass FDM besonders oft methodische und forschungsethische Fragen berührt. Diese Aspekte werden wir gemeinsam mit den Forschenden des SFB, die sich mit der Theorie- und Methodenentwicklung befassen, vertiefend behandeln, zum Beispiel in Form gemeinsamer Workshops.

 

Hat sich Eure Arbeit seit dem Beginn der Corona-Pandemie im vergangenen März verändert, und wenn ja, wie?

Mit Beginn der Kontaktbeschränkungen zur Eindämmung der Pandemie und somit der Arbeit im Homeoffice hat sich unsere Arbeit zunächst ganz grundlegend verändert. Zunächst trafen die Kontaktbeschränkungen auf unsere Forschungsarbeit genauso zu, wie auf viele andere unserer Teilprojekte. Die Forschungsgespräche mit SFB-Mitgliedern, die wir bis dahin geführt hatten, waren nicht mehr umsetzbar. Neben der Beratung und wissenschaftlichen Begleitung des Verbundes bei Fragen im Umgang mit Forschungsdaten zählte plötzlich die Unterstützung des Verbunds in den Bereichen der Online-Kollaboration und Kommunikation zu den Kernaktivitäten des INF-Projektes. Der Forschungsaspekt rückte also einige Monate in den Hintergrund. Erst zum Herbst hin haben wir dann wieder angefangen Interviews zu führen, nun allerdings über die Videochatanwendung Webex Meetings. Natürlich führt das zu einer komplett anderen Gesprächssituation und die affektiven Dynamiken sind weniger oder ganz anders erfahrbar.

Auf der Serviceebene haben wir versucht den Verbund bei technischen Fragen bestmöglich zu unterstützen. Dafür haben wir zunächst diverse Anwendungen und digitale Tools getestet und Empfehlungen ausgesprochen. Zentral ist dabei die Frage, wie wir die interdisziplinäre Zusammenarbeit, wie sie am SFB über die Teilprojekte hinaus in diversen Formaten geschieht, in Zeiten von Kontaktbeschränkungen weiterführen können. Eine noch größere Herausforderung ist es wohl die fehlende soziale Komponente unserer alltäglichen Arbeit im Forschungsverbund aufzufangen: das gemeinsame Mittagessen in der Mensa, die Kaffeepausen während eines Workshops oder der sogenannte Flurfunk. Diese Situationen fehlen, sowohl als zwischenmenschliche Begegnung als auch als wichtige Momente, in denen Ideen oder gemeinsame Projekte entstehen.

Zusammen mit dem Team der Geschäftsstelle haben wir uns deshalb diverse Formate überlegt, durch die wir den Kontakt zu unseren Kolleg:innen sowohl fachlich als auch persönlich aufrechterhalten. Besonders gut kam unser digitaler Adventskalender an, in dem alle SFB-Mitglieder vom studentischen Mitarbeiter bis zur Professorin auf kreative Weise kleine Einblicke in ihr Leben während der Pandemie teilen konnten. Da wir uns auch im Frühling weiterhin kaum in Person sehen werden, arbeiten wir bereits an der nächsten Idee, um unseren Verbund zumindest digital wieder näher zusammen rücken zu lassen.

  

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