Tandem-Kooperationen
Die inhaltliche und organisatorische Federführung in der Theorie-und Methodenwerkstatt obliegt drei jeweils einjährig agierenden interdisziplinären Leitungstandems, die je ein zentrales Desiderat der SFB-Agenda ausarbeiten. Diese Tandems werden während ihrer Laufzeit unterstützt durch die Themengruppen, die zu spezifischen theoretischen und methodischen Aspekten der SFB-Agenda arbeiten. Zudem obliegt den Tandems die zeitweilige Organisation der SFB-Plenumsebene, so dass auch auf diesem Weg eine breite Beteiligung aller SFB-Mitglieder erreicht wird. Die zeitliche Reihenfolge der Tandems ergibt sich grob aus einer Logik der theoretischen und methodischen Reichweite und Spezifik.
Prof. Dr. Jürgen Brokoff / Prof. Dr. Cilja Harders
Im Mittelpunkt der Tandemkooperation im akademischen Jahr 2021/22 stand die wechselseitige Bestimmung von Affekt und Politik, für die eine Bezugnahme auf institutionelle Bedingungen (Staaten, Öffentlichkeiten...) und die Berücksichtigung der Heterogenität kultureller und medialer Kontexte notwendig ist. Die von der Politologin Cilja Harders und vom Literaturwissenschaftler Jürgen Brokoff organisierte Arbeit, die alle im SFB vertretenen Fächer und Disziplinen einband, interessierte sich jenseits abstrakter Begriffsdiskussionen für konkrete Bestimmungen des Politischen in emotions- und affektgebundenen Zusammenhängen und Lebensvollzügen. Nur in den konkreten institutionellen, historischen und kulturellen Kontexten können Macht und Ohnmacht handelnder Subjekte überhaupt erst angemessen sichtbar gemacht und damit der Analyse zugeführt werden. Die Verschlingung von Affekt und Politik wurde deshalb in exemplarischen Feldern (z.B. Streit- und Debattenkulturen, Affect and Colonialism, Bildpolitik und Bildproteste, Daten und Archive in autoritären und demokratischen Gesellschaften) zum Untersuchungsgegenstand. Sie betrifft aber zugleich auch das Selbstverständnis der wissenschaftlichen Tätigkeit des Forschungsverbundes selbst.
Neben Veranstaltungen mit auswärtigen Wissenschaftler:innen, internen Diskussionen und gemeinsamen Lektüren hat das Tandem die Gesprächsreihe im Deutschen Theater (DT) unter dem Titel „Mit Wundern rechnen …“ fortgeführt sowie die zweite Staffel der SFB-Podcast-Reihe „More than a Feeling“ moderiert. Abgerundet wurde die gemeinsame Arbeit mit einer Tagung zum Thema "Erhitzte Gemüter, Habitus der Kälte. Zur Ambivalenz affektiver Rhetoriken in der politischen und literarischen Öffentlichkeit", die vom 14.07.2022 bis zum 15.07.2022 im Harnackhaus in Berlin-Dahlem stattfand.
Prof. Dr. Jürgen Brokoff wurde am Institut für Deutsche und Niederländische Philologie vertreten durch:
Prof. Dr. Andrea Schütte
Habelschwerdter Allee 45
14195 Berlin
a.schuette@fu-berlin.de
Prof. Dr. Cilja Harders wurde am Otto Suhr Institut für Politikwissenschaft vertreten durch:
Dr. Dina El-Sharnouby
Ihnestraße 22
Raum 224
14195 Berlin
dinaelshanouby@gmail.com
Prof. Birgitt Röttger-Rössler / Prof. Margreth Lünenborg
Das Tandem im Wintersemester 2020/21 und dem Sommersemester 2021 bestand aus der Kommunikationswissenschaftlerin Margreth Lünenborg und der Sozial- und Kulturanthropologin und Sprecherin des SFB Birgitt Röttger-Rössler. Im Mittelpunkt der Arbeit standen Fragen nach der sich wandelnden Struktur und Beschaffenheit von Öffentlichkeiten – sowohl in unterschiedlichen Konfigurationen physischer Kopräsenz als auch in mediatisierten und digital vernetzten Formen. Knüpften westliche Diskurse lange Zeit primär an normative Konzepte von Öffentlichkeit im deliberativen Verständnis von Habermas an, so erscheint ein solches am rationalen Austausch von Argumenten orientiertes Konzept unter den Bedingungen vielstimmiger und oftmals chaotisch wirkender digitaler Netzwerkkommunikation längst obsolet. Zugleich stand ein dichotomes Verständnis von Privatheit und Öffentlichkeit aus sozialanthropologischer Sicht bereits lange vor der Etablierung digitaler Kommunikationsstrukturen in der Kritik, da es das komplexe Zusammenwirken von Verborgenem, Geheimem, Privatem und Öffentlichem nicht angemessen beschreiben kann.
Vor diesem Hintergrund haben wir uns u.a. im Rahmen der Lecture Series "Affective Publics" damit auseinandergesetzt, wie sich zeitgenössische Konzepte von Öffentlichkeit entwerfen und affekttheoretisch fassen lassen. Welche Rolle spielen Empörung und Angst, aber auch Solidarität und Zusammengehörigkeit beim Entstehen von Öffentlichkeiten? Wer erhält agency in diesen Formationen des Öffentlichen? Wie werden durch das Aufkommen multipler Öffentlichkeiten bestehende Institutionen herausgefordert? Welche Inklusions- und Exklusionsprozesse gehen damit einher? Wie sind diese mit Geschlechterverhältnissen verschränkt? In unterschiedlichen Formaten des Austauschs haben wir uns mit transnationalen Influenzer:innen ebenso wie mit digitalen Medienpraktiken von Diaspora communities und deren jeweiligen affektiven Registern beschäftigt; wir haben aber auch auf Formationen des Öffentlichen außerhalb „des Westens“ geschaut und gefragt, inwieweit Öffentlichkeit als ein travelling Western concept gesehen werden kann, das andere soziale und politische Konstellationen herausfordert sowie durch diese herausgefordert wird. Wir haben die in zahlreichen politischen Bewegungen der Gegenwart (z.B. im „Arabischen Frühling“) deutlich gewordene Verknüpfung von virtueller Vernetzung und physischer Kopräsenz an öffentlichen Plätzen thematisiert und last but not least den Blick auf algorithmic publics, d.h. auf die formierende Kraft von Technologie und ihre ökonomischen ebenso wie politischen Triebkräfte gerichtet.
Prof. Birgitt Röttger-Rössler wurde am Institut für Sozial- und Kulturanthropologie vertreten durch:
Dr. Rosali Stolz
Landoltweg 9-11
14195 Berlin
Raum 105
rosalie.stolz@fu-berlin.de
Prof. Margreth Lünenborg wurde am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft vertreten durch:
Dr. Anna Antonakis
Garystr. 55
14195 Berlin
Raum 205
anna.antonakis@fu-berlin.de
Prof. Hansjörg Dilger / Prof. Matthias Warstat
Die erste Tandemkooperation der zweiten Laufzeit wurde von dem Sozial- und Kulturanthropologen Hansjörg Dilger und dem Theaterwissenschaftler Matthias Warstat bestritten. Unter dem Oberthema „Institutionalisierung von Diversität“ beleuchteten sie die affektiven Herausforderungen und Erfahrungen, die im Kontext von Migration und Globalisierung entstehen, wenn Konzepte von Diversität und Vielfalt Einzug in institutionalisierte Bereiche halten, wie z.B. die Medizin, das Theater, Medien und Künste, das Recht oder kommunales Regieren. Dabei ging es auch um die Formierung neuer Emotionsrepertoires, die unter dem Eindruck sich verändernder Institutionen oder bei der Herausbildung neuer Teilbereiche entstehen, sowie um die Frage, welche Effekte diese Veränderungen für die Dynamiken gesellschaftlicher In- und Exklusion haben. All diese Prozesse sind sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene relevant, und ihre Erforschung bezog Perspektiven sowohl aus den Theater- und Literaturwissenschaften als auch aus den Politik- und Sozialwissenschaften mit ein.
In Kooperation mit dem Haus der Kulturen der Welt (HKW) und dem Schwulen Museum Berlin richtete das Tandem die vierte Jahrestagung des SFB aus. Die Tagung fand unter dem Titel „Diversity Affects | Troubling Institutions“, Keynote-Sprecherin: Sara Ahmed, statt. Sie ist auf dem Vimeo-Kanal des SFB dokumentiert und abrufbar. Aus der interdisziplinären Tandem-Kooperation ist zudem der Band „Umkämpfte Vielfalt: Affektive Dynamiken institutioneller Diversifizierung“ (hg. von Hansjörg Dilger und Matthias Warstat) hervorgegangen, der Diversitätspolitiken in unterschiedlichen institutionellen Feldern erstmals aus einer affekttheoretischen Perspektive beleuchtet.
Hansjörg Dilger wurde am Institut für Sozial- und Kulturanthropologie vertreten durch:
Dr. Marcos Freire de Andrade Neves
Landoltweg. 9-11
Raum 108
14195 Berlin
marcos.freire@fu-berlin.de
Matthias Warstat wurde am Institut für Theaterwissenschaft vertreten durch:
Adam Czirak
Grunewaldstr. 35
Raum R. 116
12165 Berlin
adam.czirak@fu-berlin.de
+49 30 838 59246
Prof. Doris Kolesch / Prof. Hubert Knoblauch
Das dritte Tandem der ersten Laufzeit wurde von einer Theaterwissenschaftlerin und einem Soziologen gebildet und behandelte das Themenfeld „Affektivität und Emotionalität in Aufführungssituationen“. Das Tandem fokussierte ein Phänomen, das mustergültig für Kollektive steht und damit die Spannung von Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung in mediatisierten Affective Societies repräsentiert. Das Spektrum reichte von der vielfach mediatisierten Affizierung der Publika öffentlicher Großveranstaltungen bis zu den diversen Verfahren und Techniken der Affizierung in den performativen Künsten. Den empirischen Bezugspunkt bildeten die emotionalen Prozesse der Publika in Aufführungssituationen, die als ein differenzierter, aber in seiner Form besonderer Resonanzraum von Affekten betrachtet werden.
Von besonderem Interesse war der Vergleich verschiedener sozialer Felder, die vom Sport über das Theater bis zur Religion reichen und sowohl lokale wie auch mediale bzw. mediatisierte Publika umfassen. Damit verbunden war die Herausforderung, unterschiedliche Stränge der Erforschung der Publikumsemotionen miteinander zu verknüpfen: Diese reichen von der Publikumsforschung in der Theaterwissenschaft, der Filmwissenschaft und der Kunstanthropologie bis hin zur soziologischen, kommunikationswissenschaftlichen oder ethnologischen Forschung.
Das Tandem wurde an den jeweiligen Instituten vertreten durch:
Evelyn Anuß und Boris Traue
Wintersemester 2016/17 - Sommersemester 2017
Prof. Anne Fleig / Prof. Christian von Scheve
Im zweiten Tandem arbeiteten eine Literaturwissenschaftlerin und ein Soziologe zum Problemkomplex der affizierenden Kraft von Sprache und Texten in der Konstitution von Zugehörigkeit und Zugehörigkeitsgefühlen. Das Ziel des SFB, verstärkt noch nicht semantisierte affektive Dynamiken in den Blick zu nehmen, rückte die Frage der affizierenden Wirkung von Sprache und Text in ein neues Licht. Aus dieser Perspektive wurde Affektivität nicht ausschließlich als immer schon sprachlich-diskursiv geprägt verstanden, sondern umgekehrt die affektive Wirksamkeit von Sprache expliziert: Sprache und Text sind keine bloßen Repräsentationen von Emotionen, sondern genuin affektives Handeln, das eigenes Erleben (mit)konstituiert und Resonanzräume mit anderen Akteuren etabliert.
Dieses Verständnis konnte in der Tandemkooperation theoretisch und methodisch vor allem mit Blick auf Zugehörigkeiten ausgearbeitet werden, und zwar für gesprochene Sprache und ihr Vermögen, in (para)sozialen Interaktionen affektive Dissonanzen oder Konsonanzen zu erzeugen sowie für unterschiedliche Textsorten als Konstituenzien von öffentlichen und politischen Diskursen, in denen Zugehörigkeit verhandelt wird. In vielen Teilprojekten des SFB sind Sprache und Text sowohl als Gegenstände wie auch als methodische Vorgehensweisen zentrale Bezugspunkte, so dass eine Ausarbeitung, die sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektiven zusammenführt, ein wichtiges Desiderat bildete. Dazu konnte die Literaturwissenschaft wesentliche methodische und theoretische Kompetenzen bspw. in Bezug auf die rezeptionsästhetische Wirksamkeit von Sprache beisteuern. In der Soziologie existiert mit der Wissenssoziologie ein Paradigma, in dem Sprache sowohl methodisch als auch sozialtheoretisch zentral ist.
Das Tandem wurde an den jeweiligen Instituten vertreten durch:
Ruth Steinberg und Martina Dieckhoff
Wintersemester 2015/16 - Sommersemester 2016
Prof. Brigitt Röttger-Rössler / Prof. Jan Slaby
Das erste Tandem, bestehend aus einer Ethnologin und einem Philosophen, arbeitete den konzeptuellen Kern des für den SFB zentralen relationalen Affekt- und Emotionsverständnisses umfassend aus. Grundlage der Kooperation war eine durch langjährige (u.a. am Cluster Languages of Emotion) gemeinsame wissenschaftliche Tätigkeit fundierte Verankerung beider in aktuellsten Strömungen der Emotionsforschung.
Die disziplinäre Kombination erlaubte es, ein enges Wechselspiel zwischen der Ausarbeitung und Erprobung empirisch-ethnologischer Verfahren und einer transformativen Begriffs- und Theoriearbeit zu initiieren. Exemplarisch kann dies hier für den Begriff des Emotionsrepertoires illustriert werden, der gerade dadurch, dass er in ein relationales Verständnis überführt wurde, an Kontur gewann und damit für den SFB zu einem erschließenden Leitbegriff wurde. Es ging in der Zusammenarbeit u.a. darum, das etablierte Verständnis von individuellen Emotionsrepertoires (als leiblich tief verankerte affektive Dispositionen) ausgehend von empirischen Untersuchungen so auszuweiten, dass die Möglichkeit einer kollektiven Trägerschaft der Repertoires verständlich wurde, wobei der relationale Charakter der interaktiv und performativ ausagierten Repertoires präzise bestimmt werden konnte.
Das relationale Affektverständnis des SFB wurde im Zuge dessen zu einem empirisch gesättigten und konzeptuell trennscharfen Instrumentarium ausgebaut und als Alternative zu den weithin etablierten – aber mit einem westlichen bias belasteten – Begriffen diskreter Emotionen profiliert.
Das Tandem wurde an den jeweiligen Instituten vertreten durch:
Eric Heuser, Frank Ruda und Eva Weber-Guskar