Neue Publikation: “Unsure whether it feels like home anymore”: Unsettled feelings amongst former panel-block residents in Moscow and Berlin
Was bedeutet es, sich in einem Ort zuhause zu fühlen, der so vielleicht bald nicht mehr existiert? Wie prägen sich drohende städtische Umbrüche in unser emotionales Erleben, unsere Erinnerungen und unser Selbstbild ein? Und lässt sich das Gefühl von Zuhause überhaupt von den materiellen und affektiven Geschichten des Wohnens trennen?
News vom 15.07.2025
In seinem kürzlich erschienenen Artikel “Unsure whether it feels like home anymore”: Unsettled feelings amongst former panel-block residents in Moscow and Berlin (Ethnography OnlineFirst, May 19, 2025) untersucht der Anthropologe und Filmemacher Gregory Gan diese Fragen anhand einer ethnografischen Studie. Im Mittelpunkt stehen Personen, deren frühere Wohnungen in sowjetischen Plattenbauten durch das staatliche Renovierungsprogramm in Moskau potenziell vom Abriss bedroht sind – und die sich mit der Möglichkeit dieses Verlusts auseinandersetzen.
Anhand affekttheoretischer Konzepte wie Displacement, Dispossession und Disaffection zeigt Gan, wie staatlich gesteuerte Stadtentwicklung ambivalente und oft widersprüchliche Gefühlslagen hervorrufen kann. Der Plattenbau (Chruschtschowka) erscheint dabei als kraftvoller Ort der Erinnerung und emotionalen Bindung – selbst dann, wenn seine Zukunft ungewiss ist. Indem Gan die subjektiven Nachwirkungen urbaner Veränderung ausleuchtet, lädt er dazu ein, über das enge Verhältnis von Raum, Erinnerung und Zugehörigkeit neu nachzudenken:
„Ich betrachte Renovatsiya als ein ‚affektives Arrangement‘, das politische Zugehörigkeiten bestätigte, Enteignung normalisierte und die Menschen in einem Zustand ständiger Anspannung hielt. Die Kampagne lässt sich daher als ‚grausam optimistisch‘ bezeichnen, denn neben dem Versprechen besserer Wohnverhältnisse verwandelte sie vertraute Nachbarschaften in Orte endloser Abriss- und Bauarbeiten.“
Die Studie leistet einen wichtigen Beitrag zu aktuellen Debatten in der Affekttheorie, der Stadtanthropologie und der Wohnforschung – und zeigt: Zuhause ist nicht nur ein räumliches Arrangement, sondern ein historisch und emotional aufgeladener Begriff, der weit über die konkrete Wohnsituation hinausreicht.
Im Schlussteil des Artikels zieht Gan eine vorsichtige, aber eindrucksvolle Verbindung zum Krieg in der Ukraine. Er schreibt:
„Eine Staatsmacht, die systematisch Millionen enteignet und vertreibt, während sie vorgibt, sie zu befreien, hat seither ihre eigene Gewalt um ein Vielfaches gesteigert – sie hat Leben, Existenzen und Wohnräume zerstört und transnationale Beziehungen einer zunehmend brüchigen Weltordnung zerrissen. Es wäre zynisch, die Erfahrung der Enteignung von Moskauer:innen mit dem Überleben eines Krieges gleichzusetzen; vielmehr begreife ich Renovatsiya als eine Vorahnung eines immer selbstbewussteren Staates, der seine eigene Moral konstruiert und Affekte im Dienst der Macht instrumentalisiert.“
Der Artikel zeigt somit, wie scheinbar alltägliche Prozesse städtischer Umstrukturierung Teil einer größeren politischen Maschinerie affektiver Kontrolle und Verdrängung sein können – und ihr vorausgehen.
Gregory Gan ist ehemaliger Fellow des SFB „Affective Societies“. Im Rahmen seiner Zeit am SFB arbeitete er an einem Projekt „Picturing Postsocialism: A visual anthropology study on the affective dimensions of “renovation” of panel homes in Moscow and Berlin“.
